Paranoid und erfolgreich

Nach dem 4:0 über Mainz ist Schalke 04 plötzlich punktgleich mit Spitzenreiter Bremen. Die Verantwortlichen fühlen sich dennoch missverstanden. Spieler wollen Medienboykott beibehalten

„Ich würde es spüren, wenn jemand gegen mich arbeiten würde“, sagt Mirko Slomka

AUS GELSENKIRCHENANDREAS MORBACH

Das Schalker Publikum hatte sich den passendsten Moment ausgesucht, um Kevin Kuranyi ein wenig den Rücken zu stärken. Vor wenigen Tagen noch hätten sich die Fans im Revier lieber die Hände gefesselt und ein dickes Pflaster über den Mund geklebt als auch nur einen kleinen Finger zum Applaus für den Angreifer zu krümmen. Aber nun war der Mann mit der Rückennummer 22 nach einer Flugeinlage über den Mainzer Keeper Dimo Wache hinweg gegen den Pfosten gekracht und lag mit schmerzverzerrtem Gesicht im Tor der Gäste. Und weil Kuranyi beim 4:0 gegen den Totalausfall FSV Mainz 05 zu diesem Zeitpunkt schon zwei Mal getroffen hatte, fiel den Fans das Mitleid umso leichter.

Auf der Südtribüne setzten ungewohnte „Kuranyi“-Rufe ein, die eingefleischte Anhängerschaft in der Nordkurve nahm sie auf. Dazu gab es, sobald der 24-Jährige wieder auf den Beinen war, einen warmen Applaus. Kuranyis Reaktion fiel sehr unterkühlt aus: Der Ansatz eines Winkers in Richtung Zuschauer, das war‘s. Schließlich wollen Schalkes Fußballer ein Zeichen setzen: An die Fans, die sie vor einer Woche beim Bayern-Spiel 19 Minuten lang angeschwiegen haben. Und an die Medien, wegen ihrer aus Sicht der Spieler und der Vereinsspitze oft hinterhältigen Berichterstattung.

Ihren Medienboykott zogen die Schalker Profis auch am achten Tag nach Beschlussfassung fort. Und wer wollte, durfte weiter rätseln: Sprechen sie nicht, weil sie nicht sprechen wollen, oder weil sie nichts Falsches über das unruhige Innenleben ihres Vereins von sich geben wollen? Wirklich schlimm ist der anhaltende Rede-Stopp natürlich nicht, dafür aber zunehmend albern. Das sieht inzwischen selbst der Trainer so. „Wir haben mit den Spielern gesprochen. Das Ganze kann ja kein Dauerzustand sein“, sagt Mirko Slomka – nur ein „Denkanstoß“ für die gemeinen Geschichtenerfinder vom Boulevard und von einigen regionalen Presseorganen.

Mirko Slomka nutzte nach den vier Treffern durch Kuranyi (13., 32.) und Halil Altintop (22., 67.) die Gunst der Stunde, um zu verkünden: „Die Mannschaft und ich arbeiten wirklich sehr, sehr gut zusammen – egal, welche Unruhe von außen herein getragen wird.“ So habe ihm zum Beispiel der am Samstag überragende Gustavo Varela versichert, sein vieldiskutierter Mönchengladbacher Torjubel aus der Vorwoche sei nicht gegen den Trainer gerichtet gewesen.“ Was Slomka offiziell auch überhaupt nicht anders erwartet hatte, denn: „Ich würde es spüren, wenn jemand gegen mich arbeiten würde.“

Die einzigen Widersacher des 39-jährigen Übungsleiters bleiben nach dieser Version die vielen „bösartigen“ Gazetten im Land. „Ich weiß, dass ich hier extrem unter Beschuss stehe. Aber inzwischen belustigt mich das“, erklärte Slomka, nachdem seine ersatzgeschwächte Elf die völlig überforderten Mainzer auseinander genommen und nach Punkten zu Werder Bremen aufgeschlossen hatte. „Ich kann von unserer Seite aus nur sagen, dass wir alles im Griff haben“, betonte der Chefcoach noch, freute sich auf einen „schönen Sonntag ohne Zeitung lesen“ und überließ es Andreas Müller, ihn verbal ein wenig aufzubauen.

Denn auch wenn der Manager Tore wie Altintops schlauen Heber zum 4:0 lieber mit Ersatzspieler Sebastian Boenisch als mit Slomka feiert, so zeigt er sich zumindest schwer beeindruckt vom dicken Fell des Trainers. „Sehr stabil“ sei der Coach, vermeldete Müller und staunte „wie stark er bei seiner Ansprache an die Mannschaft ist. Zumal er damit ja noch nicht so viel Erfahrung hat.“ Aber die wächst mit jedem Tag auf Schalke zuverlässig, und deshalb wird Mirko Slomka gestern sicher auch wieder heimlich Zeitung gelesen haben: „Mal sehen was die jetzt wieder ausgraben, und was ich jetzt wieder falsch gemacht haben soll.“