Schiitische Minister verlassen Kabinett

Die Regierungskrise im Libanon verschärft sich. Hisbollah versucht, das Kabinett Siniora zu Fall zu bringen, und droht mit Massenprotesten auf den Straßen. Dabei geht es auch um die Einrichtung eines internationalen Tribunals im Mordfall al-Hariri

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Der Libanon steckt in der größten innenpolitischen Krise seit Ende des Krieges vor fast vier Monaten. Gestern erklärte Präsident Emil Lahud die Regierung unter Premierminister Fuad Siniora für illegitim, nachdem am vergangenen Wochenende alle fünf schiitischen Minister aus der Regierung zurückgetreten waren. Siniora weigerte sich, die Rücktritte der Minister der Parteien Hisbollah und Amal anzunehmen.

Hintergrund ist die Forderung der Hisbollah und ihrer politischen Verbündeten nach einer stärkeren Regierungsbeteiligung. Gespräche zur Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“, in der Hisbollah und ihre Verbündeten zudem de facto ein Vetorecht gegenüber allen Regierungsentscheidungen forderten, waren am Samstag für gescheitert erklärt worden. Das Anliegen der Hisbollah war von den antisyrischen Parteien, die die Mehrheit im Parlament bilden, abgelehnt worden.

Seit Ende des Libanonkrieges, das Hisbollah als einen „göttlichen Sieg“ bezeichnet, fühlen sich die Schiiten und ihre Verbündeten im christlichen Lager der „Freien Patriotischen Union“ unter Michel Aoun politisch im Aufwind und fordern daher mehr Macht in Beirut. „Das gegenwärtige Kabinett reflektiert die Veränderungen in der politischen Landschaft des Libanons nicht mehr“, begründete eines der zurückgetretenen Kabinettsmitglieder, Gesundheitsminister Mohammed Dschawad Khalifa, seine Entscheidung.

Auch wenn die Regierung erst nach dem Rücktritt von mindestens acht Ministern als aufgelöst gilt, ist Siniora in seiner Handlungsfähigkeit jetzt praktisch gelähmt. Sollte er andere schiitische Minister ernennen, würde er sich den Zorn von Hisbollah zuziehen. Deren Chef, Hassan Nasrallah, hat bereits mit massiven Straßenprotesten gedroht, falls der Forderung nach einer stärkeren Regierungsbeteiligung nicht nachgekommen wird. „Wir studieren derzeit noch die Lage“, warnte Nasrallahs Vertreter, Scheich Naim Qassem, und fügte hinzu: „Entweder werden wir mit wenig Geduld abwarten, ob die Gespräche noch ein Ergebnis bringen, oder wir werden mit unseren Verbündeten das Programm unser Straßenproteste diskutieren.“

Der Zeitpunkt der Regierungskrise ist besonders heikel, weil heute eine für die Region wichtige Entscheidung der libanesischen Regierung ansteht. Am Freitag hatte der UN-Sicherheitsrat der Regierung in Beirut offiziell den Vorschlag eines internationalen Tribunals im Mordfall des ehemaligen libanesischen Premiers Rafik al-Hariri vorgelegt. Nach den bisherigen Mehrheitsverhältnissen würde das Kabinett dem zustimmen. In den antisyrischen Zeitungen des Libanon wurde der Hisbollah vorgeworfen, die Regierungskrise vom Zaun gebrochen zu haben, um ihre syrischen Sponsoren in Damaskus zu decken, denen eine Verwicklung im Mord an Hariri vorgeworfen wird. „Die Hisbollah hat sich bedauerlicherweise an die Seite der Mörder und Terroristen gestellt“, kommentierte die Tageszeitung An-Nahar.