Das Logbuch der Cap Anamur

In zwei Wochen wird der Fall „Cap Anamur“ in Sizilien neu aufgerollt. Angeklagt ist auch Elias Bierdel, Chef der gleichnamigen Kölner Hilfsorganisation. Nun hat er seine Sicht der Dinge in ein Buch gepackt

VON ARNO KLEINEBECKEL

Hingeschaut und weggesehen, so könnte das Motto einer Publikation lauten, die ein heikles Kapitel EU-Politik thematisiert. Es geht um den Fall „Cap Anamur“ und sein politisch-juristisches Nachspiel. Der Kölner Elias Bierdel, einer der Protagonisten dieses europäischen Politikums, hat nun ein Buch vorgelegt, in dem er den Fall neu aufrollt. Und zugleich eine dringende Frage aufwirft: Warum im Europa des 21. Jahrhunderts eine Politik betrieben wird, die einen immer höheren Blutzoll an den Außengrenzen in Kauf nimmt?

Bierdel berichtet in „Ende einer Rettungsfahrt“ streng dokumentarisch, wie in einem Tagebuch, bebildert mit rund 100 bislang unveröffentlichten Fotos. Die Geschichte beginnt im Februar 2004: „Lübecker Schiff als Symbol der Hoffnung“ titelt das örtliche Nachrichtenblatt, als sich die Mannschaft der „Cap Anamur“ auf ihren ersten Einsatz vorbereitet. Auf der geplanten Jungfernfahrt von Lübeck über Rotterdam, Lissabon, die Kanaren, Sierra Leone und Liberia bis nach Namibia wird die „Cap Anamur“ kritische Zonen passieren. Die junge Vietnamesin Hai-Ly Bui, deren Eltern als Boat People aus dem chinesischen Meer gerettet worden waren, vollzieht die Schiffstaufe. Ihr Name bedeutet: „Die Übers-Meer-Geflohene“. Eine Prophezeiung – wie sich zeigen wird.

Am 29. Februar 2004 beginnt das Abenteuer. Im Bauch des ehemaligen Containerschiffs lagern Medikamente, Jeeps und Unimogs für Angola, Lebensmittel, Altkleider, Trinkwasser, eine Klinik-Ausstattung inklusive Röntgenanlage und Baumaterialien für ein neues Krankenhausdach in Liberia. Von dort aus geht die Fahrt zurück ins Mittelmeer. Vor der italienischen Insel Lampedusa trifft die „Cap Anamur“ auf ein winziges Schlauchboot. An Bord: 37 schiffbrüchige Afrikaner. Offensichtlich in Seenot.

An dieser Stelle zeigt sich Europa am 20. Juni 2004 von seiner hässlichen Seite: Während die Schachmatten an Bord gezogen und erstversorgt werden, belagert eine geisterhafte Eskorte von Kriegsschiffen, Küstenwachtkreuzern und Polizeibooten die „Cap Anamur“. Italienische Behörden verweigern das Einlaufen an einem der Häfen. Die Lage eskaliert, bis Kapitän Stefan Schmidt am 11. Juli den Notstand proklamiert und unter Berufung auf internationales Recht die Hafeneinfahrt nach Port Empedocle verlangt. Die Behörden lenken nur scheinbar ein: Kapitän Schmidt, der 1. Offizier Vladimir Daschkewitsch und Cap Anamur-Chef Elias Bierdel werden wegen Verdachts auf „Schlepperei“ angeklagt, das Schiff als „Tatwerkzeug“ beschlagnahmt. Die „Cap Anamur“ wird den Hafen Port Empedocle erst sieben Monate später, Anfang 2005, wieder verlassen.

Das „Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V.“, 1979 in Köln aus einer spontanen Rettungsaktion für vietnamesische Boat People entstanden, wird mit diesem Akt nach mehr als 25 Jahren Arbeit spektakulär kriminalisiert. Zu den Gründungsmitgliedern zählte seinerzeit auch der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll. Europäische Tatsachen unterdessen: Die Zahl der „Übers-Meer-Geflohenen“ geht in die Tausende, sie flüchten in hölzernen Nussschalen Richtung Europa. Viele ertrinken dabei jämmerlich. In Statistiken findet man sie nicht.

Seit den Ereignissen vom Sommer 2004 gilt die Führungscrew des Frachters “Cap Anamur“ als verbrecherische Schlepperbande. Elias Bierdel steht inzwischen, knapp zweieinhalb Jahre später, gemeinsam mit Kapitän Schmidt und Vladimir Daschkewitsch wegen „Beihilfe zur illegalen Einreise in einem besonders schweren Fall“ auf Sizilien vor Gericht; am 27. November 2006 ist Prozessauftakt. Es sind nicht zufällig drei Beschuldigte: Das war eine der Voraussetzungen, sie als „Bande“ anklagen zu können. Und die Geretteten der „Cap Anamur“? No-Names, im Schnellverfahren inhaftiert und abgeschoben.

Bierdels Buch ist ein Angebot an alle, die sich über die zunehmende Militarisierung an Europas Grenzen informieren wollen. Sein Report ist politischer und höchst aktueller Journalismus, der das Unrecht an den Grenzen der Festung Europa auf packende Weise zu thematisieren weiß und dabei Stellung bezieht.

Bierdel, Elias: „Ende einer Rettungsfahrt. Das Flüchtlingsdrama der Cap Anamur“, Verlag Ralf Liebe, 19,80 EuroHeute Abend liest Bierdel aus seinem Buch: 20 Uhr, im Altenberger Hof, KölnInfos: 0221-5348077