Aus dem Dunkel der Bilder

AUSSTELLUNG Tim Eitel zeigt in der Galerie Eigen + Art nur einige Gemälde. Die aber haben es in sich. Sie erzwingen Entscheidungen und spielen mit dem Hirn der Betrachter

Ich kann das in die eine oder die andere Richtung durchspielen, es ist wie verhext

VON BRIGITTE WERNEBURG

Tim Eitel zeigt in seiner Ausstellung bei Eigen + Art nicht mehr als ein knappes Dutzend großer und kleiner Leinwände. Trotzdem ist die Schau so reich, dass ich sie für mich erst einmal nach Art „einer gewissen chinesischen Enzyklopädie“ (Foucault) sortierte: in a) die Bilder, die (schon) dem Sammler gehören (obwohl sie alle frisch aus dem Atelier kommen); b) die Bilder, auf denen man mehr sieht, als da ist; c) die Bilder, die optisch täuschen; d) die störenden Bilder; e) die Bilder, die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gemalt sind; f) die Bilder, die an andere Bilder erinnern; und g) die Bilder, die den Blick die Richtung wechseln lassen, je nachdem, unter welcher Prämisse sie betrachtet werden.

„Brouillard“, das 2013 entstandene, 190 x 175 cm große Format, zeigt einen Mann in nebelverhangenem Gelände, wobei ich diese Beschreibung gleich wieder einschränken muss. Der Mann steht im freien Gelände und gleichzeitig neben einem schwarzen Rechteck, das knapp die andere Hälfte des Gemäldes ausfüllt. Ob sich der Mann von mir entfernt, also tiefer in das Bild hineingeht, oder ob er im Gegenteil auf mich zukommt und damit aus dem Bild herauslaufen wird, kann ich nicht sehen. Ich kann es nur entscheiden.

Wenn ich mich aber entschieden habe, dann glaube ich plötzlich viele Details an der Haltung des Mannes zu sehen, etwa an der Art, wie seine Schultern hängen und wie seine Beine stehen, die meine Annahme über seine Bewegungsrichtung bestätigen. Ich kann das in die eine oder die andere Richtung durchspielen, es klappt immer, es ist wie verhext. Was hat die schwarze Hälfte des Bildes mit diesem Effekt zu tun?, frage ich mich, und wie ich es empfinde, dass der Mann im Nebel die gleiche malerische Konstruktion darstellt wie das schwarze Rechteck? Und während ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass mich „Brouillard“, ohne dass ich es bis dahin gemerkt hätte, leicht schon zehn Minuten beschäftigt.

Das kriegt Tim Eitel also ohne Weiteres hin. Manchmal erzwingt er diese Konzentration auch ganz offen, wie bei „Interieur I“ und „Interieur II“. Schwarz in Schwarz gemalt, muss man die beiden kleinen Formate lange betrachten, bevor das Bild hervortritt. Unser ungeduldiges Gehirn hat freilich, bis wir die Anrichte erkennen mit dem Topf und hinter der hell gekleideten Figur den Spiegel an der Wand, längst noch einen Stuhl und einen Vorhang dazu erfunden. In diesem Moment ist es gut, sich umzudrehen und „Untitled (Tree)“ zuzuwenden, dem großartigen Ironiestück in der Schau. Links sehe ich stahlgerahmtes Glas, das an die typisch rosaorangefarbene Neubauwand anschließt, die den restlichen Bildhintergrund bestreitet, vor dem der makellose Holzton des vielfach verzweigten Stamms einer Anpflanzung die Developer-Idylle erst richtig akzentuiert. Schaue ich zurück ins „Interieur“, fantasiere ich nichts mehr dazu.

Dazwischen stört ein Bild, das quer zu den anderen Arbeiten steht, die deutlich auf Raumstimmungen und Raumkonstruktionen abheben. Sein Titel, „deux fauteuils“, stellt es in die Reihe der anderen Gemälde. Aber seine Protagonisten, ein Mann und eine Frau je in einem Sessel, treten so stark als Personen auf, dass plötzlich der soziale Raum und die Kommunikation thematisiert sind. Ein kluger Bruch in der Ausstellungschoreografie.

Jetzt interpretiere ich die Geste der Protagonistin von „Chevelure (vue I)“ nicht mehr allein malerisch-konstruktiv, sondern auch psychologisch. Sie wendet ihren Kopf vom Betrachter ab, nur ihr seidig herabfallendes langes Haar und ihr blasser Mädchenarm treten aus dem Dunkel des Bildes hervor. Dass der helle Mädchenarm zwischen zwei harten schwarzen Kanten eingeklemmt scheint, ist eine optische Täuschung, der dunkle Hintergrund ist vollkommen gleichmäßig aufgebracht. Ein bisschen erinnert das Gemälde an Gerhard Richters „Betty“. Freilich ist es in der Farbgebung, dem Bildaufbau und der Geste selbst viel abstrakter, reduzierter und damit radikaler.

■ Bis 7. Juni, Galerie Eigen + Art, Auguststr. 26, Di.–Sa. 11–18 Uhr