im traum mit freund birnbaum von JAN ULLRICH
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Mein Freund Birnbaum und ich arbeiten im „Ministerium für Aufgaben und Angelegenheiten“ und heute haben wir einen Traum.

Dazu sitzen wir im Büro und geben uns ganz unseren Stimmungen hin. „Hmpf!, Mmmh!, Tja!“, seufzen wir und fühlen uns wohl. „Was geschieht denn hier“, unterbricht uns da Bürovorstand Nickelig. „Wir lassen unsere Seelen baumeln!“, antworten wir. „Und wozu soll das gut sein?“, fragt Nickelig unwirsch. „Ichfindung! Herzensbildung!“, erwidern wir. „Papperlapapp!“, poltert Nickelig, „kümmern Sie sich lieber um die Akte Gräulich und Späth!“ Dann verlässt er uns wieder.

„Wer kann erkennen, was das ist?“, fragt Birnbaum und hält einen Locher in die Luft. „Italien! Ein Engel! Ein Winken! Ein großes Missverständnis!“, rufen Kassenprüfer Lehmann und ich. Als wir nichts Neues mehr erkennen können, stellen wir den Locher ganz nach oben auf das Regal, weil wir ihn jetzt nicht mehr wie früher benutzen können, nur noch von Ferne angucken.

„Wir haben die Welt verloren, als wir sie zur Materie machten“, erklärt Kassenprüfer Lehmann nun. Birnbaum und ich nicken zustimmend und plötzlich befinden wir uns alle im „Malerland“ und zeichnen eine Welt, die keiner mehr sehen kann. Später fehlen uns Arme, Beine und außerdem ein Auge. Wir haben auch keine Namen mehr. Da müssen wir zum Hauptbahnhof und nach Fundsachen fragen. Abends stehen wir am Fenster und schauen hinaus, während in unserem Zimmer ein schwäbischer Männerchor „Muss i denn zum Städele hinaus“ grölt. „Man kann nicht alles denken, wenn man immer im selben Raum bleibt“, erklärt Birnbaum, als es wieder still ist. Dann schließen wir das Fenster und seufzen sehnsuchtsvoll.

Später sitzen wir in einem kleinen Gartenrestaurant und bestellen. „Bamberger Rindswurst! Heidelberger Pilzsuppe! Römische Maultaschen!“, wünschen wir uns drei. „Draußen nur Kaninchen“, entgegnet der Ober streng. Für einen Moment sind wir enttäuscht. Da taucht das Kaninchen auf und ruft: „Ich habe keine Zeit für ein Leben als Ziffernblatt.“ Es dreht sich entgegen dem Uhrzeigersinn und läuft davon, wobei es „beim Zähneputzen die Sonnenbrille nicht vergessen“ ruft. Wir müssen etwas blinzeln und jetzt haben wir auch keine Zähne mehr. „Sind wir schon verreist?“, fragt Kassenprüfer Lehmann danach zögernd. Keiner weiß Bescheid. Wir warten lieber noch mal ab. „Die Macht der Grenzen hat hier ihre Grenzen“, sagt da ein Mann, der kein Grenzer ist, an einer Stelle, wo es keine Grenzen gibt. „Ich kann nicht erkennen, was dahinter stecken soll“, sage ich. Und der Mann ohne Grenzen ergänzt: „Keiner kann unbegrenzt denken. Da hört alles auf, wo alles ohne Anfang und Ende ist.“ Dann lächelt er freundlich. „Wir sind Wanderer in leerer Landschaft“, bekennen wir trotzig, doch es hilft nichts. Plötzlich taucht Bürovorstand Nickelig wieder auf. Er trägt einen Aktendeckel auf seinem Rücken, fliegt mit einem Locher durch die Luft und winkt mit der Anlage Gräulich und Späth. „Ich bin ein Engel aus dem Paradies!“, singt er dazu. „Das ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe“, beklagt Freund Birnbaum missmutig. Und schon hat uns die Wirklichkeit wieder.