Pfiffe für den Schlichterspruch

STUTTGART 21 Mehrere tausend demonstrierten am Samstag wieder gegen das Bahnprojekt. Erstmals kritisierten die Bahnhofsgegner auch Schlichter Heiner Geißler scharf. Auf die Verbesserungen, die er verlangt, geben sie wenig

„An den Gründen für unsere Proteste hat die Schlichtung nichts geändert, aber auch gar nichts!“

KLAUS GEBHARD, PARKSCHÜTZER

AUS STUTTGART NADINE MICHEL

Mit einem „Warming-up“ haben sich Gegner von Stuttgart 21 am Samstag auf die geplante Großdemonstration am nächsten Wochenende eingestimmt. Knapp 10.000 Menschen zählten die Veranstalter beim ersten Protest nach dem Schlichterspruch von Heiner Geißler, die Polizei sprach hingegen von 3.000. Bei diesem Protest wurden nicht nur wie sonst die Landesregierung und die Bahn AG kritisiert, sondern auch Vermittler Heiner Geißler, dem seine CDU-Mitgliedschaft vorgehalten wurde: „Willkommen im Club der Täuscher“ oder „Blut ist dicker als Vernunft – Schäm dich, Geißler“, lauteten einige der Sprüche.

Geißler hatte sich am vergangenen Dienstag zum Ende der Schlichtung für eine Fortsetzung des Projekts ausgesprochen. Sollte der geplante Bahnhof jedoch bei einem Leistungstest durchfallen, müssten Verbesserungen vorgenommen werden. Doch auf diese Verbesserungen gaben die Demonstranten wenig.

Sobald das Geißlers Formel von „Stuttgart 21 plus“ zu hören war, kamen Buhrufe und Pfiffe auf. Viele fühlten sich erneut hintergangen. Eine Frau bezeichnete die Schlichtung als „Beruhigungspille“, eine andere sprach von „Hinhaltetaktik“, ein Mann fand den Schlichterspruch einfach nur „katastrophal“. „Je länger man drüber nachdenkt, umso mehr ärgert man sich. Man fühle sich an der Nase herumgeführt“, sagte eine weitere Demonstrantin. Umso entschlossener war die Menge, das Milliardenprojekt weiterbekämpfen zu wollen.

„Wenn ich sie hier sehe, bin ich immer sicherer, dass wir es schaffen werden, dieses verdammte Projekt zu stoppen“, sagte Klaus Gebhard, der Gründer der Parkschützer. Geißler habe übersehen, wie die Stuttgarter drauf seien. Die Aufklärungsarbeit über das Projekt könne man nicht mehr zurückdrehen, die Menschen wüssten inzwischen mehr als die Politiker. „An den Gründen für unsere Proteste hat die Schlichtung nichts geändert, aber auch gar nichts“, rief Gebhard.

Alle Redner kritisierten besonders, dass es nach der Schlichtung weder eine Bürgerbefragung gibt noch einen Bau- und Vergabestopp, während die Verbesserungen geprüft werden. Geißler tingle als Erfinder des Stuttgarter Modells durch Talkshows, von dem die Stuttgarter selbst nichts hätten, hieß es in einem Schreiben einer Parkschützerin, das vorgelesen wurde.

Der Ingenieur Karl-Dieter Bodak, der lange Zeit für die Deutsche Bahn gearbeitet hat, ging auf deren Unternehmenskultur ein. Eisenbahner und Planer, denen die Probleme bei Stuttgart 21 bewusst seien, würden bei der Unternehmensspitze kein Gehör finden. „Wir sollten mit hartnäckiger Friedfertigkeit und mit friedfertiger Hartnäckigkeit weiterkämpfen“, sagte Bodak. „Was anderes bleibt uns nicht übrig.“

Der heftig kritisierte Heiner Geißler sagte in der aktuellen Ausgabe des Spiegel, er halte es für legitim, dass die Proteste fortgesetzt würden. „Keine Schlichtung und kein Parlament können einfach das Demonstrationsrecht abschaffen“, betonte er.

Nach der Demonstration ist es vor dem Neuen Schloss zu Rangeleien gekommen. Ein Polizist setzte laut Polizeisprecher Olef Petersen Pfefferspray ein, weil Einsatzkräfte geschoben und getreten worden seien. Drei Personen wurden demnach wegen Augenreizungen behandelt. In dem Tumult sei zudem eine Frau gestürzt und verletzt worden.

Während zu dieser Kundgebung am Samstag nur die aktiven Parkschützer aufgerufen hatten, wird die Demonstration am kommenden Wochenende vom gesamten Aktionsbündnis veranstaltet. Auch soll aus Berlin ein Sonderzug kommen.

Unterdessen sagte Bahnchef Rüdiger Grube bei künftigen Großprojekten eine frühere und intensivere Beteiligung der Bürger zu. „Das ist das Wichtigste, was ich aus dieser Diskussion gelernt habe. Man darf keine Scheu und keine Berührungsängste haben und muss frühzeitig in den Dialog mit den Bürgern treten“, sagte der Bahnchef der Welt am Sonntag.