Aus dem Osmanischen Reich
: Gedankenlesen auf dem Amt

■ 50, in Izmir geboren, lebt in Bremen als Satiriker. Aktuelles Buch: „1001 Nachtschichten – Mordstorys am Fließband“.

Ich gehe zum Finanzamt, um mich nach dem Schicksal meiner Steuererklärung zu erkundigen. Die Brüder denken bestimmt, da ich einen komischen ausländischen Namen habe, könnten sie mein ganzes sauer verdientes Geld einfach so einkassieren. Ein dämlicher Türke wie ich kapiert diesen Betrug eh nicht!

Und wie ich richtig vermutet hatte, schaut mich mein Sachbearbeiter völlig entgeistert an, als hätte er einen Außerirdischen zu Besuch – einen ausländischen Außerirdischen! Einen ausländischen außerirdischen Schmarotzer, der weder beim Finanzamt noch in Deutschland was zu suchen hat! Ich bin kein Schmarotzer, verdammt!

„Alle Ausländer sind Schmarotzer! Die sind alle arbeitslos und bezahlen ohnehin keine Steuern, warum hat sich dieser Türke denn hierher verlaufen?“, denkt der sich jetzt wohl hinter seinem Schreibtisch. „Ich arbeite seit 30 Jahren in Halle 4 sehr, sehr hart, du Ignorant, da warst du noch nicht mal geboren“, kontere ich sofort – innerlich natürlich!

„Diese Türken haben bestenfalls einen stinkenden Gemüseladen, drehen hinter der Theke Däumchen und uns Deutschen drehen sie auch noch vergammelte Tomaten an“, denkt er weiter und merkt nicht mal, dass ich all seine fremdenfeindlichen Gedanken von seinen abweisenden eiskalten Blicken ablesen kann. „Du hast ja von Nichts ’ne Ahnung! Wenn du wüsstest, wie viel Arbeit so ein Gemüseladen macht“, werfe ich ihm meine Gedanken an den Kopf. „Das Produzieren von Kopftuchmädchen kommt einem da jedenfalls nicht in den Sinn. Überhaupt nicht zu vergleichen mit deinem lächerlichen Acht-Stunden-Zeittotschlagen, du Parasit!“

„Diese ganzen Gemüseläden und Dönerbuden sind ohnehin alle allein zur Tarnung da. Damit waschen die Ausländer doch nur ihre Drogengelder“, meint er. „Drogen? Dass ich nicht lache! Die meisten Türken verkaufen nicht mal Dosenbier, du blöder Rassist“, brülle ich fassungslos zurück. Besser gesagt, ich hätte so gebrüllt, wenn der Mann auch nur ein Wort gesagt hätte. Aber seit zehn Sekunden starrt er mich nur regungslos an.

Doch dann spricht er plötzlich: „Herr Engin, jetzt weiß ich endlich, woher ich Sie kenne. Vom Elternabend natürlich! Sie waren doch der Vater von diesem reizenden, kleinen Mädchen Hatice, das neben meinem Sohn sitzt, nicht wahr?“

„Bei Allah, wir sind in all den Jahren in Deutschland so superempfindlich geworden! Und einige dämliche Politiker gießen immer noch mehr Öl ins Feuer“, stottere ich völlig verwirrt.

„Ich verstehe nicht ganz. Was kann ich für Sie tun, Herr Engin?“

„Ich, ich will meine Drogengeschäfte deklarieren … Öhm… Ich meine, ich möchte wegen meiner Steuerhinterziehung nachfragen, Entschuldigung, Herr Sarrazin …“ OSMAN ENGIN