Wir gegen uns

FUSSBALL Eine Hymne, zwei Stadien – das erste Integrationsländerspiel endet mit 4:4

VON BERND MÜLLENDER

Hinterher schienen alle sehr zufrieden. Mit einem friedlichen 4:4-Unentschieden endete am Sonntag der erste interne deutsche Fußballgipfel zwischen Urdeutschland und Schland United. Acht teils toll herausgespielte Tore, kein Verlierer, viel Applaus, „dazu das sichere Gefühl, dass unser schönes Deutschland gesellschaftlich wie fußballerisch große Potenziale hat“, wie Bundespräsident Christian Wulff leicht bräsig erklärte.

Es war das erste Duell von rein-(rassig) deutschen Kickern wie Patrick Helmes, Simon Rolfes, Thomas Müller und Philipp Lahm mit der Multikulti-Auswahl um Mesut Özil, Cacau, Sami Khedira und Lukas Podolski.

Die Idee war voriges Jahr beim Integrationsgipfel entstanden: „Integration muss verbindlich werden“, hieß es, das gelte auch für „das Massenfaszinosum Fußball“. Manche hatten gewarnt: Falls die Blutself zu überlegen gewänne, könne dies schaden. „Und umgekehrt? Was dann?“, konterten Mahner. Schließlich konnte nur die deutscheste aller Stürmertugenden, das instinktsichere Abstauben in letzter Sekunde, einen Sieg der favorisierten Migrantenelf verhindern. „Ohne Müller kein Deutschland“, jubelte später der Boulevard.

Özil und Schweinsteiger

Beide Teams sangen zusammen die deutsche Nationalhymne und dann, nach launiger Durchsage des Stadionsprechers („Nun zum heutigen Gegner“), noch mal die gleiche. Nie sei bei einer Hymne „mit so viel neuer deutscher Leichtigkeit“ (DFB-Präsident Zwanziger) so viel gegrinst worden. Nur Podolski sagte: „Ich kann mir den Text sowieso nie merken. Hauptsache, für die Mannschaft bringt es was, näh!“ Die Fans riefen „Deutschland!“ und meinten beide Teams – „ein schönes Gefühl“, wie der freundliche Per Mertesacker fand.

Jenseits des Platzes war das Projekt wahrlich umstritten. Die Grünen sprachen von „einem falschen Signal“, die endlich vollzogene Fußballeinheit wieder „über die dumme Blutsfrage zu teilen“. Empört waren die Verfolgten des Naziregimes über das Projekt, weil „eine Art arischer Stammbaumnachweis“ zur Anwendung kam. „Wie kann man sich im Zweikampf integrieren?“, fragte die fußballpolitische Sprecherin der Linken, Gesine Lötzsch. Politische Beobachter gehen ohnehin davon aus, dass Angela Merkel aus sehr persönlichen Gründen dieses Spiel forcierte: Sie kann sich nicht entscheiden, ob Bastian Schweinsteiger („mein starker Bastimann“) Herzbube ihrer Wachträume sein soll oder doch Mesut Özil („mein kleiner Schnuckelosmane“). Am Sonntag spielten beide feurigbeinig auf. Unentschieden auch für Merkel.

Manche hatten geschrieben, ein Spiel Urdeutschland gegen eine Migrationself sei ungefähr wie 1990. Damals wurde zur EM-Qualifikation BRD und DDR in eine Gruppe gelost. Die Bild-Zeitung schimpfte damals: „Wir gegen uns – Was für ein Quatsch.“ Nun sprach Bild von den „Voll-Unsrigen“ gegen „Scheindeutschland“ und bekam dafür eine Rüge des Presserats. Andere behalfen sich mit Begriffen wie Bluts- oder Pur-, Neu- oder Anderdeutschland.

Auch sportlich hatte es Eifersüchteleien gegeben. Der gebürtige Gelsenkirchener Manuel Neuer stand im Tor der Urdeutschen: „Niemand aus dem Ruhrpott“, behauptete HSV-Torwart Frank Rost „kann sich volldeutsch im Sinne dieses Spiels nennen, irgendwann waren da immer Polen beteiligt.“ Auch René Adler (2. Halbzeit) hielt Rost für kaum spielberechtigt: „René ist eindeutig französisch.“ Beobachter glauben, der ewige Motzkoffer habe nur selbst spielen wollen. Manche vermuteten auch „eine verquere politische Gesinnung“.

Die Torwartfrage war auch bei den Mischdeutschen schwierig. Bis in die Dritte Liga wälzte Schland-Coach Felix Magath die Kader, erfolglos: „Komisch, es gibt kaum deutsche Keeper mit Migrationshintergrund. Die Gründe müssen Soziologen und Ethnologen mal erforschen.“ So war Magath froh über die kurzfristige Sondererlaubnis der Fifa für Frankfurts Oka („Opa“) Nikolov, 36, obwohl der in den Neunzigerjahren fünf A-Länderspiele für Mazedonien gemacht hatte.

Auffallend: Blutsdeutsche Defensivpositionen waren mehrfach besetzt. Die Migrationsdeutschen hingegen wussten nicht, wohin mit den Offensivspielern. Fachleute diskutieren, ob das Zufall ist. ARD-Reporter Daniel Cohn-Bendit erklärte, dass die „kulturelle Mischung einen Fußballer spielstärker macht. Ich habe früher im Frankfurter Ostpark auch Tor um Tor gemacht, dass der Joschka nur gestaunt hat.“ So fiel die Absage von Ilkay Gündogan, der sich nicht entscheiden konnte, ob er für Schland United oder, wie sein Nürnberger Clubkollege Mehmet Ekici, lieber für Almancispor spielen möchte, nicht weiter auf.

Die Urdeutschen hatten Lothar Matthäus als Coach. Er galt als ideale Wahl, weil er stets die Nähe zu anderen Kulturkreisen sucht und seit Jahren alles tut, um eine deutsche Elf zu trainieren. Die Fußballszene hoffte, dass sein Ehrgeiz jetzt gebremst sei – indes fränkelte Matthäus hinterher: „Ein Loddamadäus ist auf den Geschmack gekommen. Ich habe Blut geleckt.“

Schalke und Dortmund

Der anfangs sehr orientierungslose Miroslav Klose wollte sich zu seinem kuriosen Eigentor nicht äußern: „Ich sach mal, Spiel hat Spaß gemacht.“ Klose hatte „sowohl für sich als auch gegen sich getroffen, und das doppelt“, schrieb der DFB und will nun Juristen prüfen lassen, ob Klose damit als zweifacher Torschütze in die Statistik eingehen kann. Reals Sami Khedira musste schon nach fünf Minuten vom Platz – er litt nach dem 0:5 gegen Barcelona immer noch unter akuten Schwindelanfällen. Eine heftige Grätsche in Thomas Müllers Beine kommentierte Ömer Toprak erfreulich integriert: „Ey, Alter, war voll krass deutsche Tugend, verstehst du?“ Michael Ballack bekam trotz Trainingsrückstands einen Kurzeinsatz.

Eine andere Premiere war die spitzfindige Idee, bei Halbzeit das Stadion zu wechseln. So wurde erst in Gelsenkirchen, dann in Dortmund gespielt – die letzte überraschende Aktion der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Eine gewaltige Integrationsdemo lief während der sechsstündigen Halbzeitpause quer durchs Ruhrgebiet, tausende ließen sich per Busshuttle fahren. Und alle feierten die große urdeutsche Organisationskunst.

Ob der Stadtwechsel der Befriedung der lokalen Probleme dient, bleibt jedoch zweifelhaft. Eher würde eine verschleierte Deutschtürkin Bundeskanzlerin oder Diego Maradona Bundestrainer, als dass ein Schalker das Wort Dortmund in den Mund nähme (und, klar, umgekehrt auch). „Es ist“, schloss Matthäus, „eben noch viel zu intrigieren.“

■  Bernd Müllender, 54, lebt als Journalist in Aachen