Die Basis hat die Schnauze voll

In Schleswig-Holstein treten ganze Ortsvereine aus den Volksparteien aus. Sie wollen damit gegen die Politik der großen Koalition demonstrieren. Richtig kämpferisch sind die Leute von der Westküste

AUS KIELESTHER GEIßLINGER

Parteimitglieder von CDU und SPD im hohen Norden vereint ein neues Hobby: Sie treten aus. Komplette Ortsvereine werfen gemeinsam die Parteibücher hin – als Protest gegen die Politik der großen Koalition.

Die CDU ist stärker betroffen als die SPD, aber inzwischen haben beide Volksparteien Verluste erlitten. Den ersten großen Auftritt durch Austritt hatten Kommunalpolitiker der CDU in Ellerau im Kreis Segeberg: 32 der 61 Mitgliedern im Ortsverein kehrten der Partei den Rücken. Vergangene Woche zog eine SPD-Truppe nach: Der Mitgliedsverein im Örtchen Eddelak in Dithmarschen löst sich zum Jahresende auf, alle 19 Mitglieder haben die Parteibücher zurückgeschickt. „Wir haben die Nase gestrichen voll, alle sind stinksauer“, sagte der Ortsvereinsvorsitzende Axel Theißen der Lokalzeitung.

In den Volksparteien stimmt die Chemie nicht mehr zwischen oben und unten: Die Basen sind sauer geworden. Grund für den Frust sind die aktuellen Diskussionen und Beschlüsse der Kieler Landesregierung. Weniger Geld für die Gemeinden, die Zusammenlegung von Ämtern und nun auch noch der Plan, neue Großkreise zu schaffen – viele Lokalpolitiker fühlen sich von ihren Spitzen bestenfalls nicht mehr vertreten, schlimmstenfalls verraten.

Bei der CDU kommt zusätzlich die Schul- und Bildungspolitik hinzu: Der Kieler Ratsherr Wolf-Dietmar Brandtner begründete seinen Austritt aus der Union nach mehr als 30 Jahren Mitgliedschaft damit, dass er die Landespolitik in diesem Bereich „nicht mehr mittragen“ könne. Die Landesregierung hatte sich darauf geeinigt, die Gemeinschaftsschulen ins Gesetz aufzunehmen und Real- und Hauptschulen zu Regionalschulen zu verschmelzen.

Den größten Streit und Frust verursachen die laufenden Ämterfusionen: Mindestens 8.000 Einwohner muss ein Amt demnächst haben, und schließen die Dörfer sich nicht freiwillig zu größeren Einheiten zusammen, drohen Zwangsheiraten. Zwischen Orten und Parteien wird mit harten Bandagen gekämpft: So trat Dörte Kühl, Bürgermeisterin in Wasbek, aus der CDU aus – offiziell aus persönlichen Gründen. Aber der „Holsteinische Courier“ berichtet, die 46-jährige Politikerin habe sich mit ihren Parteifreunden in der Frage überworfen, ob der Ort sich mit der Stadt Neumünster oder anderen Gemeinden des Amtes zusammentun solle. Kühl brachte im Gemeinderat eine parteiübergreifende Mehrheit für die Neumünster-Lösung auf den Weg, die CDU-Fraktion stimmte dagegen. Kühl will als Parteilose Bürgermeisterin bleiben.

Rund 800 Mitglieder hat die CDU seit Anfang des Jahres verloren – beim Parteitag an diesem Wochenende könnte der Frust der Basis ein Thema sein.

Bei der SPD, die sich am vergangenen Freitag traf, hielten sich die Proteste in Grenzen. Innenminister Ralf Stegner, einer der Hauptakteure der Reformen, ging nur kurz auf den Austritt der Eddelaker ein, die Delegierten bemühten sich um Sachargumente statt um lauten Protest. „Natürlich muss man in einer Koalition Kompromisse schließen, aber im Großen und Ganzen können wir unsere Politik schon vermitteln“, sagte eine Kommunalpolitikerin aus dem Kreis Steinburg, die sich gezielt um den Nachwuchs kümmert. „Viele junge Leute, alle ganz motiviert“, schwärmte sie. Eine Delegierte aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg berichtete von harten Kämpfen mit der CDU auf lokaler Ebene: „Das sind kleine Betonblöcke, mit Sachargumenten kommt man da kaum weiter.“ Das sei zwar schlecht für den Moment, aber gut für den nächsten Kommunalwahlkampf: „Wir können uns da gut abgrenzen.“

Richtig kämpferisch sind die Leute von der Westküste, vor allem in Dithmarschen, sowohl in der CDU wie auch in der SPD. So wollten die Ex-Genossen in Eddelak ein Zeichen setzen: „Die Oberen verstehen nur noch diese Sprache, etwas anderes hat längst keinen Zweck mehr“, klagt einer der Ausgetretenen.