Unheimliche Integrationspolitik

INTEGRATIONSKURSE Sie folgen einer kolonialen Logik und sind grundrechtlich höchst problematisch

Offiziell werden die im Jahr 2005 eingeführten Integrationskurse nach einer holprigen Startphase als großer Erfolg gefeiert. Die andere Seite der Medaille offenbart die Geschichte eines verschwiegenen Skandals.

Denn Fakt ist, dass mit den penibel überwachten Kursen ein selektives wie weitreichendes Erziehungs- und Sanktionssystem im sozialindustriellen Maßstab entstanden ist. Während Deutsche und EU-BürgerInnen das Recht auf freiwillige Teilnahme genießen, haben außereuropäische MigrantInnen trotz des Grundrechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung und Gleichheitsgrundsatz (Artikel 2 und 3 Grundgesetz) hier de facto kein Selbstbestimmungsrecht. Allein 2008 wurden 63.297 neu zugewanderte wie alteingesessene MigrantInnen aus Nicht-EU-Staaten einer Zwangsteilnahme unterworfen.

Eine Integration, die auf Entrechtung und Diskriminierung gesellschaftlich marginalisierter Gruppen basiert, widerspricht sich ganz offensichtlich selbst. Sie verstärkt lediglich die rassistischen Machtverhältnisse. Ebenso wenig trägt diese Politik der kulturellen und politischen Unterordnung zu einer kritischen Selbstaufklärung der Dominanzgesellschaft bei.

Wie beim Familiennachzug und im Arbeitsförderungsrecht werden durch eine eurozentrierte Hierarchisierung insbesondere MigrantInnen mit muslimischem und postkolonialem Hintergrund rechtlich benachteiligt und mit spezifischen Sanktionen konfrontiert. Die Formen der Bestrafung im Integrationskurssystem können von der Kürzung der sozialen Grundsicherung, Bußgeld über die Verweigerung der Staatsbürgerschaft bis zur Ausweisung reichen.

Die Forderungen, einen neu erfundenen Straftatbestand namens „Integrationsverweigerung“ mit schärferen Sanktionen zu belegen, weist auf eine gespenstische Debatte hin. Die kollektive Verpflichtung ist umso absurder, als auch die Zahlen des Bundesamts für Migration das hohe Eigeninteresse der Betroffenen am Spracherwerb und an gesellschaftlicher Teilhabe belegen. Der normalisierende Zwang als oberstes Gebot der Integration basiert notwendigerweise auf einem kollektiven Generalverdacht gegenüber rassistisch stigmatisierten Gruppen. Damit werden den „integrationsbedürftigen“ Prüflingen allgemein kulturelle Rückständigkeit sowie autoritäre, sexistische und fundamentalistische Grundhaltungen unterstellt. Im Gegensatz dazu wird die „deutsche Leitkultur“ mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit gleichgesetzt.

Infolge dieser machtbesetzten Konstruktionen arbeitet die Integrationspolitik mit Fremd- und Feindbildern, wodurch tradierte rassistische und orientalistisch-islamophobe Stereotypen staatliche Anerkennung finden. Integrationskurse basieren im Kern auf dem westlich-deutschen Anspruch auf politische und kulturelle Überlegenheit, die historisch im Zentrum kolonialpädagogischer Praktiken standen.KIEN NGHI HA

■ 38, Kultur- und Politikwissenschaftler