Wie man seinen Arsch rettet

Oder wie man seinen Arsch meistbietend verkauft: Im Kölner Taschen Verlag erscheint nun ein Best-of des „Butt Magazines“. Die Macher des schwulen Lifestyle-Magazins, dessen coole Underground-Attitude maßstabsetzend wirkte, treten derweil mit einem neuen Projekt gegen „Wall Paper“ an

von JAN KEDVES

Wollte man in den letzten fünf Jahren etwas über das aktuelle Selbstverständnis homosexuell veranlagter Männer erfahren, bekam man – vorausgesetzt man lebte in einer einigermaßen großen Stadt mit versierten Buchhändlern – häufig empfohlen, sich das Butt Magazine zu besorgen. Dieses englischsprachige, im DIN-A5-Format gehaltene und im Quartalsrhythmus verlegte Periodikum liefere, so hieß es dann geheimnistuerisch und gönnerhaft, die tollsten Interviews, die besten Fotostrecken, und überhaupt sei es, auch vom Layout und der ganzen attitude her, ganz weit vorne. Ein echt cooles Underground-Ding. Selbstbewusst schwul noch dazu. Und häufig mit Bildern von Wolfgang Tillmans.

Tatsächlich wirkte Butt, in Amsterdam herausgegeben von dem Modejournalisten Gert Jonkers und dem Grafikdesigner Jop van Bennekom, stilprägend. Im Buchhandel kam man kaum noch hinterher, wie viele in etwa ähnlich konzipierte schwule „Fagazines“ aus Europa und den USA sich um einen Platz neben Butt bewarben, und dabei ebenfalls auf handliches Format statt Hochglanzfotos setzten. Sie hießen Dik, They Shoot Homos Don’t They oder Scum Bag Fag Mag: Butt blieb stets das Original.

Mit seiner offensiven Appropriation der ehemaligen Stigmafarbe Rosa und des Worts „Butt“ („Arsch“) traf das Magazin einfach am zielsichersten den Humor großstädtischer Schwuler. Genau jener Schwuler also, denen die üblichen, auf sie zugeschnittenen Publikationen zu saturiert, zu anzeigenlastig oder zu politisch geworden waren – oder die einfach nicht mehr ausreichend Distinktion versprachen. Butt vollbrachte so – während Homosexualität von der Wissenschaft letztgültig als biologisch bedingt geoutet wurde – das Kunststück, noch einmal so etwas wie die nächste Evolutionsstufe des Schwulseins zu erfinden. Sympathisch blieb dabei, dass die Macher ihre Bemühungen offenbar nicht an die große Glocke hängten wollten: Das Distributionsnetz blieb überschaubar, die Schöpfer selbst vornehm im Hintergrund, die Cover stets frei von hässlichen Barcodes. Damit ist nun allerdings Schluss.

Schuld ist, wenn man so will, der Kölner Taschen Verlag: Er hat soeben einen 560 Seiten starken Wälzer namens „Butt Book“ herausgebracht, und dahinter verbirgt sich keineswegs ein umfassender Anti-Cellulite-Ratgeber, sondern ein „Best-of“ der bisherigen 17 Ausgaben des Butt Magazines. So behauptet es zumindest der Verlag. Doch der Transfer eines schwulen Underground-Fanzines zum Coffeetable-Schmuckwerk lässt sich nicht ohne inhaltliche Verluste bewerkstelligen. Weswegen sich das „Butt Book“ nun auf die schwulen „big names“ konzentriert, die sich in dem Magazin in den vergangenen fünf Jahren die Klinke in die Hand gaben: Rufus Wainwright trifft die Modedesigner Viktor & Rolf zum Klönen im Hotelzimmer, Wolfgang Tillmans interviewt den R.E.M.-Sänger Michael Stipe und fotografiert ihn bei der Gelegenheit gleich noch im Bademantel, und so weiter.

Neben dem zunehmendem Hang zur Bevorzugung von Berühmtheiten konnte einem in Butt auch anderes negativ auffallen: dass sich das Magazin ästhetisch zu sehr am schnauzbärtigen Clone-Look der Prä-Aids-Ära orientierte, Aids dabei aber so gut wie nie thematisierte; dass sich die Macher von den Errungenschaften eines übergreifenden queeren Projekts völlig unbeeindruckt zeigten und Frauen oder Trans-Identitäten stets außen vor ließen. Dafür hatten Jonkers und van Bennekom aber manchmal auch einfach verdammt gute Ideen: Sie füllten eine Doppelseite mit Gehörlosenhandzeichen für schwule Sexpraktiken, unterzogen Judas-Priest-Songtexte einem Re-Reading oder druckten von ihren Lesern verfasste „Bad Sex Stories“ ab. Diese Beiträge mussten im „Butt Book“ freilich weichen.

Gert Jonkers und Jop van Bennekom haben vor kurzem ohnehin endgültig den Schritt zu reinen Stilfragen vollzogen. Fantastic Man heißt ihr neues Magazin für Herrenmode, in dem von gay keine Rede mehr ist. In Fantastic Man widmen sie sich nun Herrenhandtaschen, Brillengestellen, Bartlängen und Krawatten. Und schon scheint sich das Magazin zum größeren Renner zu entwickeln als Butt: Das Impressum der vierten Ausgabe listet als neue redaktionelle Verstärkung den ehemaligen i-D-Chefredakteur Glenn Waldron, das Anzeigenaufkommen ist beachtlich, dazu fotografiert Bruce Weber eine Homestory bei Helmut Lang auf Long Island. Manch versierter Beobachter des Zeitschriftenmarktes erkennt in Fantastic Man bereits die neue Wallpaper.

Wie sich die neue Geschäftstüchtigkeit von Gert Jonkers und Jop van Bennekom mit dem alten Butt-Ethos vereinbaren lässt, diese Frage bleibt vorerst ungeklärt. Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft stellt man freilich eine einmal etablierte Trademark nicht einfach auf den Sperrmüll.

Vergangene Woche bei der „Butt Book“-Autogrammstunde im Berliner Taschen Store am Ku’damm sahen die beiden jedenfalls – während die Berliner Schwulen Schlange standen, um sich von ihnen eine Widmung ins Buch setzen zu lassen – nicht so aus, als planten sie, Butt einzustellen. Genau dies wäre der richtige Schritt. Sonst könnte Butt demnächst noch aus der Mode kommen. In der Logik seiner Erfinder dürfte es nichts Schlimmeres geben.

Jop van Bennekom/Gert Jonkers (Hg.), „Butt Book“. Taschen Verlag, Köln 2006, 520 Seiten, 24,99 €