Beirut erwartet einen „heißen Winter“

Im Libanon ist ein Machtkampf zwischen der von den USA unterstützten Siniora-Regierung und der von Iran und Syrien gesponserten Hisbollah ausgebrochen. Diese Polarisierung weist die klassischen Merkmale eines Stellvertreterkrieges auf

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

„Wir erleben im Libanon einen politischen Kalten Krieg, der ernsthafte Konsequenzen nicht nur für den Libanon, sondern die ganze Region und die USA haben wird.“ So lautet die düstere Prophezeiung der Hisbollah-Expertin Amal Saad-Ghorajeb in Beirut. Seit dem Wochenende ist dieser „Kalte Krieg“ zwischen der libanesischen Regierung unter Premier Fuad Siniora und der mächtigen schiitischen Hisbollah (Partei Gottes) mit dem Rücktritt von sechs Ministern der Hisbollah und ihrer Verbündeten eskaliert. Die erste Runde geht dabei an die Regierung. Denn das libanesische Kabinett hat trotz der sechs leeren Sitze am Montag einem UN-Resolutionsentwurf zugestimmt, laut dem ein internationales Sondertribunal zur Aufklärung des Mordes an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri geschaffen werden soll. Hariri war im Februar 2005 bei einem Bombenanschlag umgekommen. Das Nachbarland Syrien, Verbündeter der Hisbollah, wird der Verwicklung in den Mord bezichtigt.

„Heute sind wir auf dem Weg, die Wahrheit zu enthüllen und Gerechtigkeit durch ein Gericht mit internationalem Charakter walten zu lassen“, sagte Regierungschef Siniora nach der Kabinettsentscheidung. Die regierungsnahe Tageszeitung An-Nahar jubelte gestern, dass sich „die unabhängige Führung des Libanons nicht von Hisbollah erpressen lassen hat“. Die Zeitung wirft Hisbollah vor, „eine gefährliche Botschaft auszusenden, indem sie sich auf die Seite der Mörder Hariris stellt“.

Ein Vorwurf, den der Hisbollah-Abgeordnete Hussein Hadsch Hassan nicht stehen lassen will. Hisbollah sei nicht prinzipiell gegen das Sondertribunal, sondern nur gegen die „Form“, in der die Abstimmung stattgefunden habe, erläutert er und unterstellt der Regierung, wichtige Entscheidungen zu monopolisieren. Hisbollah argumentiert, dass es ihr um „eine gerechtere Aufteilung der Macht“ gehe, wie Exarbeitsminister Trad Hamadeh sagt. Die nach dem Libanonkrieg im Sommer selbstbewusst auftretende Schiitenorganisation fordert eine Regierung der Nationalen Einheit, in der sie und ihre Verbündeten ein Drittel der Sitze bekommen und damit das Recht hätten, gegen Entscheidungen der Regierungsmehrheit ein Veto einzulegen.

Doch mit dem Beschluss des Kabinetts ist der Konflikt noch nicht ausgestanden und der Sieger der nächsten Runde durchaus unklar. „Wir werden auf die Straße gehen“, kündigte der Hisbollah-Vize Scheich Naim Kassem an. „Wir beharren auf unserem Standpunkt und werden alle demokratischen und friedlichen Mittel nutzen, um uns durchzusetzen“, verspricht auch Hisbollah-Pressesprecher Hadsch Hussein Rahal. Die Partei berate derzeit mit ihren Verbündeten, wann und wo sie ihre Anhänger in den nächsten Tagen zu Massenprotesten mobilisieren wird. Kräfte aus dem Regierungslager haben angekündigt, in diesem Fall Gegenproteste zu veranstalten. Allgemein wird in Beirut ein „heißer Winter“ erwartet.

Keiner weiß, wie der Polarisierung des Libanons in zwei Lager begegnet werden kann, zumal der Machtkampf im Land auch einen weit größeren „Kalten Krieg“ um den Einfluss im Nahen Osten widerspiegelt. „Es bedarf nicht allzu großer Intelligenz, zu erkennen, dass die politische Krise im Libanon einen Teil der Konfrontation zwischen Washington, Teheran und Damaskus darstellt“, meint die libanesische politische Kommentatorin Sahar al-Baassiri. Auf der einen Seite unterstützen die USA die antisyrische Siniora-Regierung, auf der anderen Seite der Iran und Syrien die Hisbollah. „Während wir auf eine neue US-Politik und Fortschritte bei den Palästinensern warten, wird im Libanon der Tisch für die ganze Region neu gedeckt“, meint Baassiri.

Das Ganze sieht nach einem klassischen Stellvertreterkrieg aus. Für die USA stellt der Libanon die vorderste Front gegen den „Schurkenstaat Syrien“ und den iranischen Einfluss in der Region dar. Die libanesische Regierung ist eine der wenigen Erfolgsgeschichten der von der US-Regierung seit dem Irakkrieg propagierten Demokratisierung der Region. Iran und Syrien wollen dagegen das amerikanische Projekt im Libanon zum Scheitern bringen. Kein Wunder also, dass Vorwürfe in der politischen Szene im Libanon gang und gäbe sind, Hisbollah sei der lange Arm Syriens und des Irans und die Siniora-Regierung der Agent Amerikas. „Wir erleben heute die politische Fortsetzung des Krieges vom Sommer“, schreibt die Zeitung Daily Star. „Einen Krieg, den die Hisbollah und Israel damals nicht nur im eigenen, sondern auch im Interesse ihrer Alliierten und Waffenlieferanten vom Zaun gebrochen haben.“