Eine unglaubliche Geschichte

FILM Der NDR hat Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ verfilmt und dafür großartige Darsteller gefunden: Selbst Riga gibt ein überzeugendes Hamburg ab. Heute läuft der Film in der ARD

Die zufällige Entdeckung der Currywurst ist eine schöne Metapher für Trümmerfrauen-Pragmatismus

Natürlich kann es in einem Buch oder Film mit dem Titel „Die Entdeckung der Currywurst“ um alles Mögliche gehen, nur nicht um die Entdeckung der Currywurst. Das ist klar. Der ARD-NDR-Film heute Abend jedenfalls macht mit einer falschen Erwartungshaltung gleich zu Anfang kurzen Prozess, mit einem denkbar kurzen Dialog. Mann mit Hut: „Sag mal, stimmt das eigentlich? Dass du die erfunden hast?“ Lena Brücker: „Was?“ Mann mit Hut: „Na die Wurst!“ Lena Brücker: „Erfunden? Ich mach’ die hier nur, wie jeder sein Geschäft.“

Wäre ja auch ein Ding, wenn die Currywurst ursprünglich aus Hamburg käme. Wie in Berlin alle wissen, kann das nicht sein. Statt um die Wurst geht es in dem Film, dessen Geschichte als Rückblende auf die geschilderte Szene folgt, um „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“. So hat Goethe die Novelle definiert, und als Novelle versteht Uwe Timm, der große Autor, seine Buchvorlage des Films. Im Interview sagte Timm: „Es ist die Geschichte einer listigen Frau, die ihre Liebe verlängert, indem sie im Kopf des Geliebten durch Schwindeleien eine andere Wirklichkeit erzeugt als die, die draußen herrscht.“

Und das kommt so: Die nicht mehr ganz junge Lena Brücker, deren Mann und Sohn an irgendeiner Front des zweiten Weltkriegs stecken, nimmt nach dem Bombenalarm den blutjungen Marinesoldaten Hermann Bremer mit in ihre Wohnung: „Wenn du willst, kannste auch ganz bleiben.“ Er wird dadurch zum Deserteur, kann die Wohnung nicht mehr verlassen, ist in ihr gefangen. Lena ist so glücklich wie nie. Die beiden vergnügen sich miteinander. Es ist eine Amour fou.

Die Nachbarn, vor allem der böse Luftschutzwart, sind eine ständige Bedrohung. Eine noch größere Bedrohung aber ist der Frieden. Lena weiß, dass Hermann gehen wird, sobald Frieden herrscht. Deshalb verschweigt sie ihm, dass in Hamburgs Straßen bereits die Briten unterwegs sind und der Krieg vorbei ist. Das ist eine unglaubliche, aber gar nicht mal so unglaubwürdige Geschichte – eine Novelle eben.

Genau das unterscheidet sie, zum Beispiel, von der melodramatischen „Dresden“-Soße. Apropos, auch den Bombenkrieg zeigt der Film: Durch eine kleine Szene im Luftschutzkeller. Statt CGI-Gedöns ein zünftiger Spruch aus Lenas Mund: „Arsch kaum warm – Fliegeralarm“. Im letzten Kriegsjahr ist das Schreckliche das Alltägliche. Galgenhumor ist Überlebenshilfe.

Ulla Wagner hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Beides ist ihr gelungen. Lena wird von der großen Schauspielerin Barbara Sukowa gespielt, Hermann von dem bestimmt einmal großen Schauspieler Alexander Khuon und die Hansestadt Hamburg von der einstmals großen Hansestadt Riga. Alle spielen großartig.

Und die Currywurst, es ist nicht so, dass sie in dem Film überhaupt nicht mehr vorkäme. Ihre zufällige, unfallartige Geburt in den letzten Filmminuten, die eine Entdeckung und keine Erfindung ist, und die umstandslos folgende Vermarktung – das ist eine wirklich schöne Metapher für den zupackenden Trümmerfrauen-Pragmatismus. Lena Brücker ist eine Erfindung von Uwe Timm. Reine Fiktion, aber was heißt das schon.

Seit 2003 gibt es auf dem Hamburger Neumarkt übrigens eine Gedenktafel ihr zu Ehren. Das „Deutsche Currywurst Museum“ in Berlin kam erst 2009. Am Ende geht es dann doch immer um die Wurst. JENS MÜLLER

„Die Entdeckung der Currywurst“: 8. Dezember, 20.15 Uhr, ARD