Fremde Kunden aus dem Osten

Mit Zeitungen und Handyverträgen buhlen Unternehmen um die 700.000 russischsprachigen NRWler. Das Geschäft wurde jahrelang verschlafen – zu unbekannt ist die neue Klientel

VON MIRIAM BUNJES
UND KLAUS JANSEN

Sie wollen einkaufen, billig telefonieren, sich informieren – und in NRW hat das bis jetzt niemand bemerkt. 700.000 russischsprachige Menschen leben im größten Bundesland, Tendenz steigend. Nun hat die Wirtschaft die gar nicht so neue Zielgruppe entdeckt.

Für neun Cent die Minute bietet das Mobilfunkunternehmen Vodafone seit Mitte Oktober Gespräche ins russische Telefonnetz an. In den Regalen von Real und Marktkauf stehen mittlerweile auch Blinis und Fischkonserven von der Schwarzmeerküste. Jüngstes Beispiel: Ab Frühjahr kommenden Jahres will der WAZ-Konzern mit der Rheinskaja Gazeta die erste russischsprachige Tageszeitung im Bundesland herausbringen.

„Das Geschäft mit Ethno-Sortimenten wird in Zukunft noch wachsen“, sagt Albrecht von Truchseß, Sprecher der Düsseldorfer Handelsgruppe Metro. Allerdings sind deutsche Firmen mit ihren Angeboten für russischsprachige Einwanderer spät dran: „Die Unternehmen hier haben das Geschäft jahrelang verschlafen“, sagt Ilia Stroukov, der mit einer Werbeagentur deutsche Firmen bei gezielten Kampagnen für russischsprachige Kunden unterstützt. Deutschland habe sich zu lange als Nicht-Einwanderungsland verstanden und deshalb die Wünsche der Zugezogenen ignoriert. Nun hätten die längst eine eigene Infrastruktur aufgebaut. „Von der Hebamme bis zum Grabstein ist jede Dienstleistung von Russen zu bekommen“, sagt Stroukov.

Im Gegensatz zu den Einkaufsgewohnheiten der türkischen Migranten sind die Bedürfnisse der russischen Klientel wissenschaftlich kaum erforscht. Etwa 3.000 russische Geschäfte soll es in Deutschland geben, schätzen Marktforscher. „Wahrscheinlich sind es mehr“, sagt Ulla-Kristina Schuleri-Hartje vom Deutschen Institut für Urbanistik, Autorin einer der wenigen Studien über russische Ökonomie. Nicht nur in Ballungszentren, auch in beschaulichen Städtchen wie Hilden haben sich russische Migranten selbstständig gemacht.

Es sind vor allem die jüdischen Zuwanderer aus Osteuropa, die diesen Berufsweg in Deutschland wählen. „Aussiedler sind unter den Gewerbetreibenden die Ausnahme“, sagt Schuleri-Hartje. Sie erklärt das mit dem höheren Bildungsgrad der jüdischen Migranten, die seit 1990 als so genannte Kontingentflüchtlinge in die Bundesrepublik einreisen. „Viele sind Akademiker, deren Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wurde“, sagt die Volkswirtschaftlerin. „Die Selbstständigkeit ist eigentlich ihre einzige Chance auf dem Arbeitsmarkt.“

Und ihre Geschäfte sind eine Anlaufstelle für alle Russischsprachigen. In NRW sind das, wie im Rest der Republik, vor allem deutschstämmige Aussiedler aus Russland und Kasachstan. Einheimische verirren sich dagegen immer noch selten in die russischen Läden, auch im Supermarkt lassen sie die neuen Produkte eher links liegen. „Der Siegeszug der russischen Küche in Deutschland lässt noch auf sich warten“, sagt Metro-Sprecher von Truchseß. Aber wenn es einmal so weit kommt, dann will sein Unternehmen daran verdienen.