Kupferhütte will Strom aus Müll

Die Norddeutsche Affinerie will mit Stromkonzernen nichts mehr zu tun haben – und baut in Hamburg ein eigenes Müll-Kraftwerk. Umweltschützer: „Die Monsteranlage belastet Anwohner“

VON HANNA GERSMANN

Werner Marnette probt den Aufstand gegen die Energiekonzerne. Der Chef der Norddeutschen Affinerie AG (NA) will die steigenden Strompreise nicht mehr in Kauf nehmen. Marnette baut jetzt für knapp 330 Millionen Euro ein eigenes Kraftwerk auf dem Hamburger Werksgelände. Darin wird Müll verheizt, um billig Strom zu produzieren.

Umweltschützer halten die 100-Megawatt-Anlage für ein „unsinniges Monster“. Marnette sagt der taz nord: „Ich bin zu diesem Schritt gezwungen.“ Die Fakten: Die NA betreibt Europas größte Kupferhütte – ein lukratives, aber stromintensives Geschäft. Das Unternehmen verbraucht jedes Jahr in Hamburg 620 Millionen Kilowattstunden – so viel wie sonst keine Firma der Hansestadt.

Unternehmer unterliegen zwar nicht den für Verbraucher üblichen Stromtarifen, Marnette handelt extra Verträge mit den Energieversorgern aus. E.ON, RWE oder Vattenfall wollten aber nicht so billig liefern, wie es sich der NA-Chef vorstellte. Er suchte eine neue Lösung – und stieß auf Energie von der Müllkippe.

Er habe über Windkraft, Solarenergie und Gasturbinen nachgedacht, erzählt Marnette – und sich „für die wirtschaftlichste Variante entschieden“. Der Strom mache derzeit ein Viertel der Produktionskosten aus. Der Müllofen rechne sich. Marnette will sich zu Preisen nicht äußern. Die Megawattstunde Strom aus Müll soll aber rund 25 Euro kosten. Zum Vergleich: An der Leipziger Strombörse wird dieselbe Menge für bis zu 60 Euro gehandelt.

Grund für die Preisunterschiede: Die NA bekommt von Abfallfirmen Geld, wenn sie deren Müll entsorgt – pro Tonne bis zu 90 Euro. Seit dem 1. Juni 2005 darf Müll aus der grauen Tonne nicht mehr einfach auf die Deponie gekippt werden. Ein Großteil des Mülls wird jetzt getrocknet, von organischem Material befreit und verheizt. Der Abfall hat dann einen ähnlichen Heizwert wie Braunkohle – und liefert in modernen Anlagen Strom.

Im NA-Ofen sollen jedes Jahr 750.000 Tonnen Müll landen. So viel fällt in Hamburg nicht an. Der Abfall werde, so erklärt Marnette, „aus einem Umkreis von 200 Kilometern um die Hansestadt“ herangekarrt. Der Konzern arbeitet dabei zusammen mit der Hamburger Stadtreinigung. Diese wird 50 Prozent der Anteile an dem Kraftwerk halten. Das Gemeinschaftsprojekt werde „fremdfinanziert“, sagt Marnette – Banken geben Kredit.

Einst waren Müllöfen als Dreckschleudern verschrien. Und heute? „Kein Thema mehr“, sagt SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Die Abgas-Vorschriften seien mittlerweile sehr streng. Aus den Schornsteinen entwichen dank neuer Filtersysteme keine krebsgiftigen Dioxine oder Furane mehr. „Für so ein Heizkraftwerk muss sich niemand schämen“, sagt der Minister. Die NA ist kein Einzelfall.

„2010 wird es in der Bundesrepublik rund 40 solcher Kraftwerke geben“, schätzt Holger Alwast, Abfallexperte von Prognos. Zum Beispiel wollten auch der Chemie- und Pharmakonzern Solvay und die Klingele Papierwerke ihre Kosten durch einen Müllofen senken.

Also alles bestens? „Mitnichten“, sagt Paul Schmid vom BUND Hamburg. Es sei „nicht sinnvoll einen Ballungsraum wie Hamburg zum Müllzentrum Norddeutschlands zu machen“. Der geplante Ofen nehme soviel Müll auf wie die drei Anlagen zusammen, die es in Hamburg schon gibt. Zwar sei jede Anlage für sich kein Problem. Geballt belasteten sie die Anwohner aber doch – auch wegen der Müllwagen. Und Eva Leonhardt von der Deutschen Umwelthilfe fürchtet: „Das Recycling kommt zu kurz.“

Marnette ficht die Kritik nicht an. Er hat die Baugenehmigung beim Senat vor wenigen Tagen beantragt. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt prüft. Der Senat habe ihm aber schon diese Woche „versichert, sich für den Müllofen einzusetzen“, sagt Marnette.