Die Nacht, in der die Pandabärin starb

Ein Westberliner Flusspferd und seine dreißig Nachfahren: Die Zoos der Gegenwart produzieren ihre eigenen Populationen. Die liebevolle Ausstellung „Affentheater und andere Viechereien“ im Ephraim-Palais zeichnet eine Geschichte der Berliner Tiergärten und ihrer Bedeutung für die Stadt nach

Knautschke ist ein Emblem des alten West-Berlin wie Harald Juhnke

von CORD RIECHELMANN

Bei der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung „Affentheater und andere Viechereien“ wurde dem Besucher am Eingang der vollbesetzten Nicolaikirche von verkleideten Hostessen eine Banane überreicht. Mit dem Obst stand man dann zwischen vom Tonband abgespielten Affenlauten und dachte an die Bananenstände am Kudamm nach dem Fall der Mauer. Doch der Gag war keine späte Rache des Ostens am angereisten Besucher aus Kreuzberg, sondern der Hinweis auf die Verwandtschaft von Affe und Mensch. Die Ausstellung, die in den Räumen des gleich um die Ecke der Nicolaikirche gelegenen Ephraim-Palais zu besichtigen ist, erzählt die Kulturgeschichte der Berliner Menagerien und Zoologischen Gärten.

Das geht natürlich nicht ohne den ortsspezifischen „Berliner Zwillingskomplex“ abzubilden, wie Hanns Zischler die Teilung der Stadt mal auf den Nenner brachte. So stößt man, wenn man die Räume im ersten Stock betritt, gleich auf Knautschke. Und Knautschke ist ein Emblem des alten und langsam untergehenden West-Berlin wie Harald Juhnke und Bubi Scholz. Der vom Präparator Manfred Gräfe liebevoll aufgebaute Flusspferdbulle gehörte zu den wenigen Zooüberlebenden des zweiten Weltkriegs. Das Tier wurde im West-Berliner Zoo sechsundvierzig Jahre alt und hinterließ dreißig Nachkommen, die heute namentlich in den Zoos der Welt sein Erbe vertreten.

An Knautschke wiederum lassen sich zwei Beobachtungen festmachen: Die eine betrifft die Ausstellung selbst. Zwischen den Exponaten an der Wand und in den Vitrinen sind in jedem Raum präparierte Tiere ausgestellt, die in der Regel aus beiden Berliner Zoos, sowohl dem Tierpark in Friedrichfelde und der Anlage am Bahnhof Zoo, stammen. Der aufgerichtete Eisbär, der Kronenkranich und die kleinen Löwenbabies, die von der unerfahrenen Mutter kurz nach der Geburt erdrückt worden sind, erzählen dabei auf ihre Art von den Schwierigkeiten des Lebens im Zoo und ihrer Ausstrahlung in die Stadtkultur.

Besonders anrührend ist das Präparat der Pandabärdame Tjen Tjen, was deutsch Himmelchen heißt. Sie war ein Geschenk von Chinas KP-Chef Hua Guofeng an den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und lebte schon vier Jahre im Berliner Zoo, als sie am 8. Februar 1984 an einer Infektion starb. Wie sie einen jetzt mit einem Bambusstrauch im Arm anzulächeln scheint, öffnet sie eine weitere Erinnerungsschleuse. In der Nacht nach ihrem Tod hatte der Barmann im „Risiko“, dem härtesten Nachtlokal westlich von Nowosibirsk, kurz die Musik abgedreht und in den Raum gesagt: „Leute, Berlin ist um eine Attraktion ärmer, der Panda ist tot.“ Dabei lief einer der hartgesottensten Gestalten der Berliner Nacht neben mir tatsächlich eine Träne übers Gesicht.

Die zweite Beobachtung, die aus Knautschkes Leben spricht, handelt von der Veränderung der modernen Zoos selbst. Während früher die Tiere in allen Kontinenten in der Wildnis eingefangen wurden, bevor man sie ausstellte, werden sie heute in der Mehrzahl in Zoos gezüchtet und von dort an andere Zoos verkauft. Zoos produzieren auf diese Art ihre eigenen, zweiten Populationen neben den noch verbliebenene Wilden. Das ist tatsächlich eine Umkehrung der jahrtausendealten Natur-Theaterschauen in den fürstlich-königlichen Menagerien, aus denen die Zoos hervorgegangen sind.

Wieweit die in den Metropolen der Kolonialmächte entstandenen Zoos dabei die fernen Völker gleich mit im Tierreich verorteten, davon zeugen zwei Plakate. „Unsere neuen Landsleute“ hieß eine Ausstellung im Berliner und Leipziger Zoo, die den Deutschen die menschlichen Einwohner der Südseeinsel Samoa nahebringen sollte, die 1899 zwischen Deutschland und den USA aufgeteilt wurde. Hagenbecks Zoo in Hamburg wartete mit einer „Ostafrikanischen Karawane“ auf, die neben „27 Eingeborenen“ auch „6 Reitkamele, 4 Jagdpferde und 9 Strausse“ zeigte.

Neben solchen Zooplakaten, die nebenbei auch eine gute Dokumentation der für den Zoo entstandenen Plakatkunst sind, gibt es auch echte künstlerische Trouvaillen zu entdecken. Dazu zählen die Zoofotografien des Bildhauers Friedrich Seidenstücker und die Vogelradierungen von Johann Friedrich Naumann. Seidenstücker dokumentiert Momentaufnahmen von den 20ern bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, und man merkt seinen Bildern die Bildhauerschule an. Während Naumanns handkolorierte Vogelportäts aus den 1820er Jahren einen völlig gegenstrebigen Effekt erzielen: Er war einer der ersten, der Vögel nach lebendigen Vorbildern und Verhaltensstudien in der freien Natur zeichnete. Der Kontrast könnte nicht schärfer sein. Die Fotos frieren die Bewegungen der Tiere ein, Naumanns Zeichnungen hingegen versetzen sie in Unruhe. Man hat manchmal den Eindruck, dass sie gleich aus dem Bild fliegen werden.

Affentheater und andere Viechereien, im Ephraim-Palais, Poststr. 16, Di, Do - So 10 - 18 Uhr, Mi 12 - 20 Uhr, bis 25. Februar