SVEN HANSEN ÜBER DIE ANTICHINESISCHEN AUSSCHREITUNGEN IN VIETNAM
: Nationalistisches Spiel auf beiden Seiten

Wie die Bilder, Methoden und Regime sich ähneln: In Vietnam und China, die beide von autoritären und sich kommunistisch nennenden Parteien regiert werden, sind öffentliche Proteste normalerweise verboten. Ausnahmen gibt es dann, wenn es gilt, den nationalen Lieblingsfeinden eine rote Linie zu zeigen und klarzumachen, dass Regierung und Bevölkerung an einem Strang ziehen. Dann darf in China vor japanischen Einrichtungen gegen die Politik Tokios demonstriert werden und in Hanoi und Saigon vor denen Pekings, ein paar Scherben inklusive.

Die nationalistische Empörung darf aber nur kurz öffentlich gezeigt werden, schließlich wollen die jeweiligen Regierungen nicht das Heft des Handelns verlieren. Auch soll sich das Volk nicht zu sehr ans Demonstrieren gewöhnen: Dies könnte sich schnell gegen die eigene Regierung richten.

Für die Machthaber in Peking und Hanoi ist neben dem Wirtschaftswachstum der Nationalismus die wichtigste Herrschaftslegitimation. In Territorialfragen können sie deshalb kaum Kompromisse machen. Erst recht, wenn sie den Geist nationalistischer Emotionen erst mal aus der Flasche gelassen und sie sich so selbst unter Zugzwang gesetzt haben.

In Vietnam, wo China schon seit Jahrhunderten als Aggressor wahrgenommen wird, sind die antichinesischen Proteste jetzt aus dem Ruder gelaufen. Das war noch nicht dramatisch – so gab es keine Toten –, aber die Gefahr wurde deutlich. Es könnte schnell zu wirtschaftlichen Einbußen kommen. Da die Regime in ihrer Logik gefangen sind, die der der anderen Seite so sehr ähnelt und gerade deshalb nötige Kompromisse erschwert, ist mit weiterer Eskalation zu rechnen.

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