neues aus neuseeland: korruption kommt von kultur
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Es ist ein Kreuz mit der Kultur, weil niemand weiß, was sich dahinter versteckt. In europäischen Breitengraden ist der Begriff dehnbar und spannt sich von Hermes Phettberg bis Hamlet. Bakterienbefall mal außen vor gelassen, bedeutet Kultur etwas mit Anspruch und Eintrittskarte. Am Tag danach gibt’s einen Verriss im Lokalblatt – so kannte ich das bisher. Wenn der Angelsachse und der von ihm kolonialisierte Zeitgenosse von „culture“ spricht, meint er jedoch nichts Bühnenreifes, sondern Volkstümliches. „Culture“ heißt: Schottenrock statt Stella McCartney; Schuhplattler statt Sasha Waltz. In den Augen der Kiwis gründet sich die deutsche Kultur demnach auf Bier, Lederhosen, Schlösser und Marschbefehle. Sorry, Handke und Goethe.

Kultur, um beim englischen Begriff zu bleiben, ist das, was von irgendjemandem ersonnen wurde, als die Erde eine Scheibe war. Hexenverbrennung, Jungfrauenopfer, Sklaverei und Genitalverstümmelung – je nach Gegend alles Kultur. Manches davon ist aus der Mode gekommen, und so sollte das nach unanthropologischer Meinung auch weiterhin sein: frei zur Disposition, vor allem, wenn es weh tut. Ich plädiere jedoch für samoanische Tätowierungen mit dem Meißel. Die sehen auf stämmigen Oberschenkeln toll aus, aber bei der Prozedur fällt mancher in Ohnmacht. Ästhetische Abwägungen sind also einzubeziehen, auch wenn damit Schottenrock wie Schuhplattler auf Dauer wenig Chance haben. Aber dafür gibt es ja Museen.

Kulturbanausen haben es schwer in Aotearoa, wo es von Knochenschnitzereien und Koru-Kringel-Symbolen nur so wimmelt. Wenn der eingewanderte Deutsche etwas nicht mit seinem zwischen Alt-68 und Allianzversicherung changierenden freiheitlich-demokratischen Weltbild unter einen Hut kriegt, fängt es meistens mit „c“ an. Ein Jade-Anhänger ist „culture“, weil von spiritueller Bedeutung für die Maori. Er darf in Schulen getragen werden, wo Schmuckstücke ansonsten verboten sind. Gebete gehören nicht in den Unterricht und sind aus Gründen der unparteiischen Weltanschaulichkeit neuerdings zu unterlassen. Auf Maori gemurmelte Vaterunser fallen nicht darunter, die laufen unter „culture“. Kinder mit Palmzweigen zu vertrimmen, ist nach Aussage vieler Eltern „our culture“, da diese kulturelle Praxis seit langem in der Südsee gepflegt wird. Egal, dass die körperliche Züchtigung weniger polynesische Wurzeln hat als abendländische – der Rohrstock wurde mit Freude von Kolonialherren auf Knabenhintern eingesetzt und wird in vielen christlichen Institutionen bis heute geschätzt – was zählt, ist, dass etwas Tradition hat. Und damit schützenswert ist.

„Koha“ ist das Maori-Wort für Geldgeschenk und bedeutet auch: Eine Hand wäscht die andere. Hübsche Sümmchen an Koha wurden jetzt drei neuseeländischen Parlamentsabgeordneten zum Verhängnis, die von ihren Gönnern Bares akzeptierten. Diese Gesten seien Teil ihrer Kultur und dafür „gibt es keine Quittungen“, argumentierten sie. Die Koharuption ging der Premierministerin dann doch zu weit. Sie lässt die Fälle untersuchen. Ihr Land hat seit jeher die weltweit niedrigste Rate an Bestechungen – fast so etwas wie ein Kulturerbe.