Ein nostalgischer Weltuntergang

THEATER In „Symptom Tanz“ erforschen SchülerInnen jugendliche Erfahrungswelten. Ein authentischer Einblick in den Mikrokosmos Schule

Die SchülerInnen prallen im Tanz voneinander ab, verlieben sich –und haben sich schon wieder getrennt

Auf der Bühne herrscht Chaos. Einer brüllt quer in den Monolog des anderen, und als die beiden sich daraufhin herumschubsen, fängt irgendwo eine Dritte an zu singen. „Symptom Tanz“ holt den Pausenhof ins Theater. Und das nicht nur, weil hier tatsächlich SchülerInnen auftreten.

Choreograf Samir Akika setzt auf Authentizität, um jugendliche Erfahrungswelten zu inszenieren. Über zwei Spielzeiten hat er die SchülerInnen des Huchtinger Humboldt-Gymnasiums betreut. Jetzt stehen sie auf der Bühne.

Selbstbewusst erschließen sie tänzerisch eine Welt, die Älteren aus der Erinnerung bekannt ist, aber dennoch sonderbar fremd scheint. Dabei machen sie im Grunde nur das, was sie immer tun – im szenischen Spiel oft überzeichnet, aber von der Choreografie aufgegriffen und in gemeinsame Bewegung übersetzt.

Obwohl sie keine Profis sind, macht es Spaß, ihnen zuzusehen. Nicht wegen der Themen: „Schule nervt“. Aber das war immer schon so. Auch, dass einen in der Pubertät bisweilen düstere Gedanken plagen, überrascht nicht.

Es liegt vielmehr daran, wie die Geschlossenheit des Mikrokosmos’ Schule erfahrbar wird: Die sich selbst spielenden SchülerInnen bleiben auf der Bühne unter sich. Sie prallen im Tanz wortwörtlich voneinander ab, verlieben sich kurz und haben sich schon wieder getrennt. Mario Basmans Musik vom Bühnenrand nimmt das auf: Beatlastige Elektronummern untermalen abstrakte Momente, in den konkreten laufen Popschnulzen.

Rückzugsräume gibt es in der Schule nicht: Auf einem Monitor über der Bühne ist das Geschehen hinter den Kulissen zu sehen. Die TänzerInnen bleiben unter Beobachtung, wenn sie durchatmen und auf ihren Einsatz warten.

Es wird viel gesprochen. Manchmal wüst gegen das Publikum: „Voll peinlich“ sei es, wenn Erwachsene Jugendsprache imitieren. Dieses Sich-anders-Fühlen ist wichtiger als tatsächliche Unterschiede. Spätestens, wenn eine Akteurin „die Macht von Grayskull“ beschwört, drängt die Frage, was die heute noch mit „He-Man“ zu schaffen haben.

So wird Gemeinschaft gestiftet, um die es auch hinter den Kulissen ging: Die Jugendlichen hätten gelernt, sich als Teil eines Ensembles zu begreifen, sagt Akika. Ein paar herausragende Talente sind unter den AkteurInnen – besonders die Gesangseinlagen überzeugen. Doch das Stück setzt auf Vielfalt und stellt sie nicht in den Mittelpunkt.

Am Ende steht ein Weltuntergang: das nahe Ende der Schulzeit. Pläne werden vorgestellt und gleich wieder zerlegt. Erst Einzelne, dann allgemeiner: „Wie viele von uns werden später Kinder haben?“, fragen sie. Oder, weil auch viele MigrantInnen dabei sind: „Wie viele werden lernen, akzentfrei deutsch zu sprechen?“  JAN-PAUL KOOPMANN

18. Mai, 18.30 Uhr, sowie 19. Juni, 20 Uhr, Theater am Goetheplatz, Schauspielhaus