„Du darfst noch was obendrauf kacken“

ELEKTRO-IRRSINN Besonders nervös scheint Chris Imler nicht mehr zu sein, wenn heute Abend sein erstes Soloalbum „Nervös“ Release-Party feiert. Schließlich ist er „der alte Haudegen, der schon alles kennt“

■ Seit er 1984 aus Augsburg flüchtete, sind Chris Imler und sein Markenzeichen, das Menjou-Bärtchen, nicht mehr wegzudenken aus dem zuerst West-, dann Gesamtberliner Underground. Erste Bekanntheit erlangte er mit der Trash-Band Golden Showers und deren legendären, mit Schweiß und Blut geschwängerten Auftritten. Seitdem hat er bei ungezählten Projekten und Bands mitgewirkt.

■ Erst jetzt ist sein erstes Soloalbum, „Nervös“, erschienen. Das ist wie sein Urheber: sehr unterhaltsam, ziemlich skurril und überaus charmant oszillierend zwischen Electro-Punk und Kinderlied, Garagenrock und Avantgarde, Blödsinn und Irrsinn.

■ Sein Alter verschweigt Imler. „Ich bin nicht mehr ganz jung“, sagt er, „aber auch noch nicht zu alt“.

■ Chris Imlers Album ist bei Staatsakt erschienen. Die Record Release Party findet heute Abend um 21 Uhr im Urban Spree statt (Revaler Str. 99, Friedrichshain).

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Herr Imler, haben Sie noch einen Überblick, in wie vielen Bands Sie schon gespielt haben?

Chris Imler: Ach. Wenn ich es aufschreibe, dann krieg ich vielleicht alle zusammen. Aber so ad hoc, da könnte ich leicht eine vergessen.

Grob geschätzt.

Das kann man so nicht sagen. Wie viele Gespräche haben Sie geführt? Es gibt Interviews und Gespräche und dann noch etwas, was beides sein kann. Bei mir gab es Projekte, die waren so kurzlebig, dass sie nicht wirklich was Großartiges zur Kulturgeschichte beigetragen hätten.

Eine Zahl, bitte.

Als festes Mitglied hab ich mitgespielt bei … Nein, ich sag keine Zahl. Ich sag nur: viele.

Stimmen Sie dann dieser Aussage zu: Chris Imler ist die graue Eminenz des Berliner Undergrounds?

Auf jeden Fall sind die Haare schon ein bisschen grau. Aber den Begriff „grau“, den finde ich nicht schön. Und Eminenz? Ich stamme ja ursprünglich aus dem katholischen Süden, so gesehen passt das vielleicht. Egal, graue Eminenz gefällt mir nicht. Aber es stimmt schon: Ich hab da und dort mitgespielt.

Sehr bescheiden.

Nein, keine falsche Bescheidenheit. Ich weiß schon, was ich gemacht habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr nur ein Taxifahrer, Schnittassistent oder Kneipier bin, der auch noch Schlagzeug spielt. Sondern eher ein Schlagzeuger, der in der Kneipe noch was dazuverdient.

Um wenigstens ein paar Ihrer Projekte aufzuzählen: Sie haben atonalen Lärm mit den Golden Showers gemacht, für Maximilian Hecker und Jens Friebe getrommelt, zusammen mit Patric Cantani bilden Sie das Techno-Punk-Duo Driver & Driver, neuerdings spielen Sie mit Oum Shatt schrägen Pop. Wie schafft man das, in so vielen verschiedenen Zusammenhängen zu funktionieren?

Erst einmal ist wichtig: Ich bin als Typ, als Mensch nicht besonders abweisend. Ich bin auch in Ecken, die nicht wahnsinnig offen sind, wohl gelitten, weil ich nie mein Profil geschärft habe, indem ich mir möglichst viele Feinde geschaffen habe. Das brauche ich nicht, um zu wissen, wer ich bin. Ein scharfes Profil ist schon toll, aber nicht um jeden Preis.

Übernehmen Sie dann immer die Rolle des ausgleichenden Grandseigneurs?

Ich bin natürlich der alte Haudegen, der schon alles kennt. Aber keine Angst, ich bin nicht nur der dezente Typ im Hintergrund, bestimmt nicht. Ich bin nicht zurückhaltend, ich will mitgestalten, ich hab mein Maul schon auch ganz schön aufgerissen. Und bei den Golden Showers hat es ordentlich gekracht. Die waren auf Provokation ausgelegt, und Razi …

Razi Barakat, Sänger und Vorzeigeverrückter der Golden Showers.

Razi ist nun mal ein extremer Charakter. Wir haben uns ordentlich gestritten. Aber um das klarzustellen: Ich habe in all diesen Bands nicht nur gespielt, weil ich so ein netter Typ bin. Die Leute wollen schon meine musikalischen Fähigkeiten. Ich bin zwar technisch kein sonderlich guter Schlagzeuger. Aber ich habe einen ungewöhnlichen Stil. Einen zufälligen Stil, nenne ich den mal. Selbst ein Maximilian Hecker hat zu mir gesagt: Ich will diese Energie.

Nun haben Sie Ihr erstes Album unter eigenem Namen herausgebracht. Warum so spät?

Ich arbeite seit acht Jahren an Songs. Diese Soloplatte hätte schon seit Jahren fertig sein sollen, aber es kamen eben immer andere Sachen dazwischen. Außerdem musste ich mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass ich mir das auch zutraue.

Ich komme vielleicht nicht schüchtern rüber, aber ich habe auch nicht so ein Waldorf-Selbstbewusstsein, dass ich mich einfach auf eine Bühne stellen kann, als wäre ich von Gott geschickt worden. Ich habe eher gedacht: Noch eine CD? Noch einer, der da rumsingt? Ich habe mich gefragt: Muss das jetzt wirklich sein? Ich musste erst lernen: Du darfst Texte schreiben. Du darfst dich da hinstellen und sagen: Guckt mich alle an, ich kann euch noch was erzählen und auf den Kulturhaufen oben noch was draufkacken.

Das Album heißt „Nervös“ und ist, sagen wir mal, seltsam. Wie würden Sie selbst Ihre Musik beschreiben?

Ich fühle mich nicht dem kalten Glamour der Avantgarde verpflichtet. Mir geht es nicht um abstrakte, kalte Musik. Ich will, dass man sich emotional verausgabt, auch wenn das manchmal nicht so klingt. Es ist kein Super-Pop, aber auch nicht wirklich Avantgarde. Die Avantgarde-Behauptung, wenn es nicht verstanden wird, wird es höher geschätzt, die interessiert mich einen Scheiß.

Ich fand, es klingt bisweilen wie Kindermusik für Erwachsene.

„Die Avantgarde-Behauptung, wenn es nicht verstanden wird, wird es höher geschätzt, interessiert mich einen Scheiß“

CHRIS IMLER

Das hört sich wahnsinnig abwertend an.

Ist nicht so gemeint.

Ich bin durchaus jemand, der dem Humor zugeneigt ist. Aber ironisch ist meine Platte nicht. Aber ich gebe zu, ich habe keine abweisende Musikalität gesucht. Allerdings bin ich auch kein konzeptioneller Typ, gar nicht. Ich habe mir nicht gedacht, ich will, dass das jetzt kindlich klingt. Aber ich habe halt nach ungewöhnlichen Sounds gesucht. Also mache ich Musik mit allem, was ich in die Finger kriege, aber ich spiele fast alles ziemlich schlecht. Ich spiele sämtliche Instrumente auf der Platte, Schlagzeug natürlich, Kinderklavier, Xylofon, irgendwelchen Kinderkram, Teddybären.

Teddybären als Instrument?

Ja, wenn man die drückt, machen die doch so ein komisches Geräusch, das angeblich Bärenbrummen sein soll.

Sie sind seit 1984 nach Berlin gekommen. Wie wichtig ist die Stadt für Ihre Musik? Oder hätte die so auch in Augsburg entstehen können?

Ich sage es mal so: Dass ich hier bin, ist schon kein Zufall. Definitiv nicht. Als ich hier ankam, habe ich gedacht: Hier ist ja alles voller Bayern. Aber geil, die ganzen Arschlöcher sind zu Hause geblieben. Westberlin war eine Tür in ein anderes Leben. Man konnte hier zwar keine Karriere machen, aber dafür war man unbeobachtet. Ich bin nach Berlin gekommen und war total begeistert. Ich habe die Leute von der Endart-Galerie kennengelernt und gedacht: endlich mal Leute, die sich alles trauen. Alles, was keine gewaltige emotionale Wucht hatte, hat mich damals nicht interessiert. Ich dachte, Musik muss immer alles kaputt schlagen, muss rabiat reinhauen, muss alles bis dahin Dagewesene infrage stellen. Das ist ein Ansatz, den ich zum Musikmachen immer noch ganz gut finde: Erst einmal alles abräumen und von vorne anfangen. Das hört man meiner Platte vielleicht nicht mehr so an, aber da komme ich her.

Wie hat sich Berlin verändert in diesen Jahren?

Die Zähne wurden gerichtet. Aber um was für einen Preis? So ein neues Gebiss muss bezahlt werden.