Am Ende bleibt dürres Land

TAGEBAU Der Abbau von Braunkohle in der Lausitz ist Segen und Fluch zugleich. Über dessen Auswirkungen dreht Peter Benedix drei Dokumentarfilme. Es überrascht ihn, wie passiv viele Menschen mit der Bedrohung Tagebau umgehen – bis sie vor der Haustür angekommen ist

■ In Proschim, dem Ort, der dem Tagebau Welzow-Süd II weichen soll, schwindet die Hoffnung: Ende April stimmte der brandenburgische Braunkohle-Ausschuss in Cottbus für die Erweiterung des Förderfeldes an der Grenze zu Sachsen.

■ Die Empfehlung nach fast siebenjährigen Verhandlungen ist Grundlage für eine endgültige Entscheidung der rot-roten Landesregierung. Deren Zustimmung für eine Ausdehnung des Tagebaus gilt als so gut wie sicher. Noch vor der Sommerpause will das Landeskabinett entscheiden. Damit stehen 800 Menschen vor der Zwangsumsiedlung.

■ Der Energiekonzern Vattenfall will das Abbaugebiet Welzow-Süd erweitern, um zusätzliche 200 Millionen Tonnen Braunkohle zu fördern. Die Pläne stoßen bei Umweltverbänden und Anwohnern auf heftigen Protest.

■ Im Ausschuss forderten die Braunkohle-Gegner den sofortigen Stopp der Ausbaupläne. Die Welt schaue auf Deutschland, ob das Land die Energiewende hinbekomme und den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen reduziere, so ein Argument. Die Landesregierung machte sich dagegen erneut für die Ausdehnung des Braunkohle-Tagebaus stark. Aus energiewirtschaftlicher Sicht gebe es nach derzeitigen Erkenntnissen keine Grundlage, auf die Inanspruchnahme des Tagebaus Welzow verzichten zu können, erklärte Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke). (lea, dpa)

AUS DER LAUSITZ LEA MEISTER

Peter Benedix stapft durch die gespenstische Stille der Lausitzer Landschaft. Gefährlich nahe kommt er an den Rand der Tagebaugrube heran. Wenige hundert Meter entfernt frisst sich die Abraumbrücke durch die Erdschichten und fördert mit leisem Summen Braunkohle zutage, am Horizont qualmen die Schlote von Jänschwalde. Eine Stunde braucht die 502 Meter lange Maschine, um 34.000 Quadratmeter Erde umzuschaufeln. Im Licht der untergehenden Sonne wirkt die Szenerie faszinierend friedlich. „Schönes Postkartenmotiv“, meint Benedix und baut seine Kamera auf, um ein Stimmungsbild für seinen Film „Brückenjahre“ aufzunehmen.

Vor ein paar Jahren war Benedix’ Verhältnis zur Braunkohleförderung im Lausitzer Revier nicht so entspannt. Im Herbst 2007 hörte er im Radio zum ersten Mal davon, dass nahe der polnischen Grenze drei Dörfer abgebaggert werden sollen: Das 500-Seelen-Dorf Kerkwitz und die Nachbardörfer Grabko und Atterwasch liegen in einer geplanten Schneise für einen Braunkohletagebau. Das kriegen die nie durch, für Braunkohle ganze Dörfer abzubaggern, dachte Benedix. Er hatte noch nichts davon gehört gehabt, dass bisher allein in der Lausitz mehr als 130 Orte umgesiedelt wurden. In ganz Deutschland sind es seit Beginn des 20. Jahrhunderts 312 Dörfer, die bei der Abwägung Allgemeinwohl gegen Recht des Einzelnen verloren haben.

Benedix stieg ins Auto und fuhr zum ersten Mal in die Lausitz. Und er kam wieder: zu Dorffesten, Vereinssitzungen und Protestaktionen gegen die drohende Räumung. Manchmal nahm er den Weg von Berlin aus sogar alle zwei Wochen auf sich. Benedix kennt inzwischen die Straßen, Wälder, Dörfer nahe der polnischen Grenze. Er erkennt die Menschen, weist, wenn man mit ihm unterwegs ist, auf denkmalgeschützte Kirchen, alte Gehöfte, den „Dorfkrug“ hin, in dem er gemütliche Abende mit Menschen aus der Gegend verbracht hat. Er kennt jede Straße, die dem geplanten Tagebau Jänschwalde-Nord weichen soll. Er hat viel über Menschen gelernt in den sieben Jahren. Und es überrascht ihn, wie passiv viele mit der Bedrohung Tagebau umgehen – bis sie vor der Haustür angekommen ist.

Selbst finanzierter Film

Die Idee, Dokumentarfilme zu drehen, ist relativ neu für Benedix. Er hat in Magdeburg Computervisualistik studiert, danach drehte er Spielfilme: Von Komödien bis zu ernsten Themen sei alles dabei gewesen. Dokus interessierten Benedix nie – bis er 2006 nach Berlin zog und erstmals Aufträge dafür bekam. „Heimat auf Zeit“ war dann seine erste abendfüllende Doku, finanziert aus eigener Tasche.

Im Tagebau Jänschwalde wird seit 1971 Braunkohle gefördert, auf einer Fläche von annähernd 8.000 Hektar. Bis jetzt wurden sechs Dörfer umgesiedelt. Das sind 1.360 Menschen, die ihre Heimat verloren haben. 1.360 Menschen, die, wenn sie dahin zurückkehren, wo sie groß geworden sind und gelebt haben, nur noch eine plattes Stück Land vorfinden. Benedix steht auf dem Feld, das mal Weißagk war, der Wind pfeift ihm um die Ohren: „Das ist der Unterschied zwischen Umsiedlung und Umziehen“, sagt er. „Es bleibt nichts übrig. Kein Baum, keine Straße.“

Zwischen Straße und Feld steht unter niedrigen Bäumen ein Gedenkstein für das Dorf, das Mitte der achtziger Jahre verschwand. Einmal im Jahr treffen sich dort die ehemaligen Bewohner Weißagks und erinnern sich. Rituale wie dieses hat Benedix überall in der Region beobachtet; auch in den Dörfern, die abgebaggert werden könnten, entwickelt sich eine Gedenkkultur. Man besinnt sich auf alte Traditionen. In Atterwasch, Grabko und Kerkwitz werden jetzt auch die Chroniken aufgearbeitet.

Je länger Benedix sich mit den Tagebauen und den Umsiedlungen beschäftigt, desto mehr wird ihm bewusst, wie vielschichtig das Thema ist: Was ist Heimat? Was heißt es, die Heimat für immer zu verlieren? Woher nehmen die einen sich das Recht, den anderen die Heimat zu nehmen? Während es in seinem ersten Film noch hauptsächlich um die drei Dörfer ging, wird sich der zweite auch mit der gesamten Region und der Energiepolitik auf Bundesebene befassen.

Aus drei Teilen soll „Brückenjahre“ bestehen, Benedix will einen Bogen spannen von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft der Lausitz. Er will zeigen, wie sich die Menschen in den letzten fünf Jahren mit dem Zustand der dauerhaften Unsicherheit und Bedrohung arrangiert haben. Ein weiterer Schwerpunkt des Films liegt auf der aktuellen Lage in der Region: den Unsicherheiten in der brandenburgischen Energiepolitik – Kohleausstieg ja oder nein, Energiewende ausbremsen oder vorantreiben – und den Plänen von Vattenfall, die sich in letzter Zeit schneller wandeln, als man hinschauen kann.

Nach dem Dreh an der Kohlegrube fährt Benedix ein paar Kilometer weiter nach Forst. Am Stadtrand wurde ein Teil des 2004 umgesiedelten Dorfs Horno neu aufgebaut. Langsam steuert er sein Auto durch gespenstisch leere Straßen; der am Reißbrett geplante Ortsteil Neu-Horno wirkt leblos, die Einfamilienhäuser und das riesige Gemeinschaftshaus sind neu und ohne Zeichen von Persönlichkeit oder Gemütlichkeit. Der Teich in der Mitte des Dorfs ist spiegelglatt und reflektiert die Lichter der fein säuberlich darum aufgereihten Straßenlaternen.

„Die Menschen werden umgesiedelt, aber die Seele des Dorfs kommt nicht mit“, meint Benedix. „Die Alten sterben meistens schnell nach der Umsiedlung. Wie ein Baum, dem man die Wurzeln abgeschnitten hat.“ Er glaubt, dass es so schwierig ist, mit einer Umsiedlung zurechtzukommen, weil es eigentlich keinen Grund dafür gibt, dass sie unbedingt stattfinden muss. Keinen Krieg, keine Not, nur den Wunsch, eine sichere Stromversorgung zu haben und den eigenen Wohlstand zu bewahren. Und eine Regierung, die der Braunkohle wohlgesonnen ist.

Er will neutral bleiben

Benedix selbst ist davon überzeugt, dass der Abbau der Kohle ein Ende haben muss. Bei der Recherche für seine Filme aber versucht er, neutral zu bleiben: Er interviewt Kohlegegner, Kohlebefürworter, Politiker, Vattenfall-Mitarbeiter, und er verliert nie ein Wort über seine eigenen Ansichten. In der Lausitz gibt es so viele verschiedene Meinungen zum Braunkohletagebau wie anderswo auch: Schließlich hat die Kohle jahrzehntelang für Arbeit gesorgt und für Sicherheit, auf der anderen Seite nimmt sie manchen so viel mehr als nur einen Arbeitsplatz.

Nicht als Opfer zeigen

Obwohl es sich um ein so sensibles und schwerwiegendes Thema handelt, wirken die Interviewten in Benedix’ Filmen erstaunlich gefasst. Der Dokumentarfilmer will die Betroffenen nicht als Opfer zeigen. „90 Minuten Betroffenheit – das wäre zu einfach.“ Benedix hört allen zu, trotzdem fühlen sich vor allem die Menschen von ihm verstanden, die unter dem Braunkohletagebau leiden. „Er war für uns da, hat mit uns geredet, sich Zeit für uns genommen“, meint Robert Lehmann, Bürgermeister von Kerkwitz, der in den letzten Jahren zu einem engen Freund für Benedix geworden ist. „Er hat für die Menschen hier jede Menge gemacht. Das ist schon außergewöhnlich.“

Noch ist nicht sicher, ob die drei Dörfer tatsächlich verschwinden werden. „Es sah noch nie so gut aus“, sagt Benedix auf der Fahrt zurück nach Berlin. „Wenn sich ein ganzes Dorf geschlossen gegen die Umsiedlung stellt, kann es sich kein Konzern der Welt leisten, die Leute mit Polizeiaufgebot aus ihren Häusern zu vertreiben.“ Da schimmert doch Hoffnung durch darauf, dass sich die kleinen Gemeinden zusammenraufen und gegen so übermächtig erscheinende Gegner wie die Regierung und Konzerne wehren können.