„Ein Fach, wie Mathe oder Deutsch“

Kinderkunst gibt es nicht. Wie junge Menschen trotzdem mit moderner Malerei in Kontakt kommen und warum schulischer Kunstunterricht wichtig ist erläutern Carsten Ahrens und Gunter Fehlau am Neuen Museum Weserburg

taz: Es gibt die Sparte Kindertheater, Jugendbücher sind ein eigenes Genre – warum gibt es keine Kinderkunst?

Carsten Ahrens: Vielleicht, weil wir Kinder als Menschen ernst nehmen und sie nicht in Sparten einsortieren.

Steile These…

Ahrens: Naja, ich habe wirklich nichts gegen gute Kinderbücher. Aber die künstliche Verlängerung der Kindheit wirkt auf mich oft sehr angestrengt: Dieser Zwang, dass Jugendliche unbedingt etwas für ihr Alter Adäquates brauchen. Sicher geht man mit einem Kindergarten anders durch eine Ausstellung als mit Erwachsenen oder einer Gruppe Oberstufenschüler.

Gunter Fehlau: Und natürlich haben wir ein ganzes Paket museumspädagogischer Angebote. Das reicht von der klassischen Kinder-Führung bis zur direkten Auseinandersetzung mit bestimmten Künstlern im Atelier…

Ahrens: Unserem Praxisbereich. Bisher liegt der etwas abseits im dritten Stock. Wir überlegen aber momentan, wie wir ihn räumlich stärker einbeziehen können. Unser Ziel ist es ja, das Museum an allen Fronten zu öffnen.

Fehlau: Gerade erst habe ich dort mit einer Schülergruppe zu Gottfried Graubners monochromen Werken gearbeitet…

den farbigen Kissen?

Ja. Die haben sich die Werke ganz intensiv angeschaut, teilweise haben sich die Kinder direkt unter die Bilder gelegt, um die Wölbung erfassen zu können. Und um zu verstehen: Wie hat er das gemacht. Und dann haben sie selbst im Kleinformat solche Kissen gebaut – also Schaumstoffplatten mit Leinwand bespannt und die eingefärbt: Dann haben Kinder auch kein Problem mit monochromer Malerei. Die fragen nicht: Was soll das? Was will der Künstler damit sagen.

Also ein direkterer Zugang?

Fehlau: Ja. Der Zugang ist gerade für Kinder kein Problem. Vielleicht gibt es auch deshalb keine Kinder-Kunst, weil sie so unmittelbar sinnlich zu erfassen ist, auch die haptischen Qualitäten, dass man das anfassen kann …

Ahrens: Da muss man aber immer sehr vorsichtig mit sein!

Fehlau: Klar, das geht natürlich nur mit Nachbauten.

Fehlt der Kunsterziehung nicht oft der Kontakt zur Gegenwartskunst? Gerade an den Schulen steht die abbildende Funktion meistens im Vordergrund…

Ahrens: Das ist aber auch ganz richtig. Schließlich müssen auch die handwerklichen Aspekte vermittelt werden. Die LehrerInnen müssen entscheiden können: Bis zu diesem Punkt hättest du, unabhängig von der Begabung, die Technik erlernen können, um Noten zu geben. Das ist nötig, damit Kunst ernst genommen wird: Als Fach, genau wie Mathe oder Deutsch…

Fehlau: Ich arbeite ja auf beiden Seiten – hier und an einer Schule. Ich muss da auch eine Lanze für meine Kollegen brechen: Das Interesse an der Gegenwartskunst ist da. Dass man da mitunter zögerlicher rangeht, ist auch klar – es gibt ja oft auch nur wenig Literatur über bestimmte Künstler. Aber wir haben viele Anfragen wegen Einführungen. Und im Sommer hatten wir hier Lehrer-Workshops – in den Ferien. Und die waren gut besucht.

Gibt es denn auch Kunst, die für Kinder ungeeignet ist?

Ahrens: Ja. Gar keine Frage…

Fehlau: Ich würde Kindern auch nicht unbedingt ein Hermann Nitsch-Video zumuten…

Ahrens: Da weist man dann an der Kasse drauf hin, damit die Eltern entscheiden können, ob sie das ihren Kindern zumuten wollen. Kürzlich war ich in Paris in einer Ausstellung, da waren sogar bestimmte Kabinette für Kinder und Jugendliche gesperrt …

Wie im 19. Jahrhundert – da wurde Courbets „Origine du monde“ auch verhängt und nur männliche Erwachsene durften das Gemälde anschauen. Kommt das zurück?

Ahrens: Sie meinen eine neue Prüderie? Nein, ich denke nicht. Das war immer da und ist auch legitim: Da haben wir als Museum auch eine gewisse Schutzpflicht.

Fragen: Benno Schirrmeister