Die Turnhalle wird Tanzsaal

An der Gesamtschule Ost passiert gerade „Rhythm is it!“, und wer das Ergebnis dieses schulumfassenden choreografischen Projekts live erleben möchte, braucht nur in‘s Mercedes-Center zu kommen. Die Kammerphilharmonie wird auch dort sein

Von Henning Bleyl

„Royston kommt gleich, spielt doch die Starwars-Fanfare nochmal“, sagt der nette Musiklehrer. Ungerührt stoßen die vier Achtklässler in‘s Horn, nicht jeder Ton sitzt, aber man merkt schon: An dieser Schule ist auf dem Kreativ-Sektor einiges los. Und jetzt erst recht: Der berühmte Royston Maldoom hat die Turnhalle zum Tanzsaal gemacht, 100 SchülerInnen lernen in zwei Wochen eine Choreografie zu James MacMillans zeitgenössischer Komposition „The Tryst“. Die anderen 740 Zöglinge der Gesamtschule Ost (GSO) beteiligen sich mit musikalischen und bildkünstlerischen Aktionen und Workshops, organisiert vom „Quartier e.V.“, an dem Mammutprojekt.

Dessen Bezüge sind vielfältig: Schon seit Juni gab es an sechs Bremer und Bremerhavener Schulzentren Projektwochen im Rahmen von „Dance4live“, einer weltweiten bewegungsorientierten Anti-Aids-Kampagne, die der Tänzer Wilfried van Poppel nach Bremen (als erster in Deutschland beteiligter Stadt) geholt hat. Neben der choreografischen Arbeit sind intensive inhaltliche Auseinandersetzungen mit der HIV-Problematik Teil des Konzepts. Beim Abschlussprojekt an der GSO ist nicht nur Rosyton Maldoon beteiligt, der durch die Kino-Dokumentation „Rhythm is it!“ über ein Projekt mit Berliner Kids und den dortigen Philharmonikern unter Simon Rattle bekannt wurde, sondern auch ein bremisches Spitzenorchester: Die Deutsche Kammerphilharmonie. Die wiederum tauscht zu Beginn des kommenden Jahres ihre Proberäume im Waller Waldau-Theater mit der umgebauten Aula der GSO ein. Deren Akustik gilt als dermaßen gut, dass dort sogar Konzertaufnahmen stattfinden sollen. Die Schule, auch das ist Teil der außergewöhnlichen dort derzeit erbrachten logistischen Leistung, befindet sich seit vier Jahren bei laufendem Betrieb in PCB-Sanierung.

Zurück zum künstlerischen Kern: „Tryst“, das Maldoon bereits mit 100 Potsdamer SchülerInnen aufgeführt hat, verhandelt die Themen Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Diskriminierung – die Aids-Problematik lässt sich also gut einarbeiten. Gerade soll in der Turnhalle eine neue Szene geübt werden: Es geht um Flüchtlinge, die Neunt- und Zehntklässler bewegen sich mit starren Minen hinter einer stilisierten Drahtabsperrung. Zuvor hat Maldoon an aktuelle Lagersituationen erinnert: „Ihr könnt an Abu Ghraib denken.“

Maldoon besteht darauf, dass er überall nach den gleichen Prinzipien arbeite: Ob er die „Carmina Burana“ mit äthiopischen Straßenkindern choreografiert oder in Peru oder Litauen tätig ist: Immer fordert er vollen Einsatz, läuft in Socken voran und scheint jeden Einzelnen im Blick zu haben.

Sicher: Man kann die von Maldoon gebauten „Bilder“ als zu pathetisch oder gar heroisierend empfinden, man kann genervt sein vom beständig praktizierten Prinzip des An-der-Ehre-Packens der SchülerInnen (wer tuschelt, ist „Kleinkind“, wer nicht kapiert, unwillig). Unterm Strich bleibt es berührend, wie sich eine gesamte Schule mit offenbar zunehmender Begeisterung zu einem gemeinsamen Projekt zusammenfindet. Verbunden mit der Zugkraft prominenter Namen und großer Orchester entsteht daraus ein Sog, wie er in keinem Lehrplan steht.

„Tryst“: Eine „stadtteilöffentliche“ Generalprobe ist am 24.11. um 14.30 Uhr in der Gesamtschule Ost (Walliser Straße) zu erleben, die Premiere findet am 25.11. um 16 Uhr im Mercedes Benz-Kundencenter Im Holter Feld statt. Um 17.45 sollen im Rahmen des internationalen Aids-Benefiz-Tages 100.000 Kinder und Jugendliche aus sieben Ländern per Satellit zugeschaltet werden