Das Schlüsselerlebnis des Pop

DAVID BOWIE Eine Ausstellung würdigt den Popstar. Ende der 70er lebte er in Schöneberg. Seine Aura bleibt spürbar

VON DIRK KNIPPHALS

David Bowie in Berlin, das ist so etwas wie Schönebergs Antike: der Zeitraum, auf den man sich immer wieder neu beziehen, von dem man auch mal träumen kann.

Auf dem üblichen Weg von meiner Wohnung zum U-Bahnhof Kleistpark komme ich unweigerlich an der Hauptstraße 155 vorbei. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Wenn mich Berlinbesuch begleitet, wiederhole ich gern die Einschätzung, dass man diesen Abschnitt der Straße in David-Bowie-Boulevard umbenennen müsste. Bin ich hingegen allein, grüße ich manchmal in den leeren Hausflur hinein, den man durch das Glas der Haustür hindurch sehen kann.

Zugegeben, man muss den Geist Bowies eher erahnen, als dass man ihn tatsächlich sehen kann. Es gibt keine Spur, kein Schild, keinen Hinweis darauf, dass dies der Ort ist, an dem der schillerndste Rockstar aller Zeiten gewohnt hat, der Star aller Selbsterfinder. Und selbst in Schöneberg traf man zuletzt nur noch gelegentlich Zeitzeugen, die mit Bowie Kicker gespielt haben wollen oder so. Vielleicht erleben solche Veteranen durch die Ausstellung im Gropius-Bau einen Anerkennungsschub und erzählen häufiger wieder von damals. Nach allem, was man hört, muss Bowie auch einfach ein netter Typ gewesen sein.

Aber es gab ja auch immer schon die Musik, und von der kann man sich den Geist mitnehmen. Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich beim Vorübergehen in der Hauptstraße, wie ein fernes Echo, zumindest musikalische Fetzen der Berlin-Trilogie im Kopf habe. Also der drei Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“, die er 1976 bis 1978 in Berlin aufgenommen hat. Manche dieser Echos passen noch heute gut. Bei dem Stück „Yassassin“ aus „Lodger“ zum Beispiel kann man von der selbstverständlich gelebten Multikulturalität träumen, auf die man inzwischen in der Hauptstraße trifft.

Manchmal habe ich aber auch Töne im Kopf, die, wie ein historisches Dokument, tatsächlich etwas vom versunkenen Westberlin der späten 70er Jahre erzählen. Als ob man eine archäologische Ausgrabung macht. Es sind Töne aus den Stücken „Moss Garden“ und „Neuköln“, die auf „Heroes“ aufeinander folgen. Braunkohleluft, Verlorenheit, Hinterhofwohnungen ohne Dusche, all das ist in „Neuköln“ (falsch geschrieben auf dem Plattencover) drin. Die Düsternis und Depressivität dieses Stücks sind ja berühmt. Aber man muss „Moss Garden“ dazunehmen. Bowie spielt darauf ein somnambules japanisches Instrument namens Koto. Ganz bei sich wirkt das. Eigen. Selbstvergessen. Jenseits aller Trends. Mit breitem Raum zur Selbsterfindung. Depression oder Selbsterfindung – das sind, glaube ich, die entscheidenden Möglichkeiten im Westberlin der 70er gewesen.

Revolution und Inspiration

Ein anderes Echo tritt am liebsten bei Sonnenschein auf: der Basslauf und die sich zwanglos stapelnden Klangflächen von „Sound and Vision“ aus „Low“. Bei diesem Stück kann man am besten heute noch hören, was Bowie and Friends – Brian Eno, deutsche Krautrocker, die Crew vom Hansa-Studio „by the Wall“ – damals gemacht haben: mal eben die deutsche Musikszene revolutioniert und die internationale Szene inspiriert. Wenn man die Augen schließt, kann man in „Sound und Vision“ den Sound schon wahrnehmen, der erst durch das Bumbumbum der Love Parade hindurchmusste und seitdem vielfältig variiert in den avancierten elektronischen Clubs Berlins läuft.

Die zwischen Fanfaren und Sirenen changierenden Musikstöße seines Hits „Heroes“ bilden natürlich das zuverlässigste Echo, das manchmal beim Vorübergehen kommt und das man, zehn Meter weiter, im Alltag aber auch schon wieder vergessen hat. Sich küssend an der Mauer stehen und siegen („und dann sind wir Helden / für einen Tag“) – man versteht die heutige Gelassenheit Schönebergs nicht, wenn man so ein Versprechen auf Intensität nicht zumindest als Erinnerungsspur mit hinzudenkt. Die Orte, an denen David Bowie feierte, mögen verloren sein (wo war noch mal der „Dschungel“?). Aber der Anspruch, intensiv leben zu wollen, das ist, zugegeben eher subkutan, in den Schöneberger Lebensentwürfen durchaus noch drin. In dem Engagement, mit dem man sein Leben lebt. In der Wichtigkeit, die man sich nimmt.

Bowie musste sich neu erfinden. Und Berlin auch

Hat man erst einmal „Heroes“ im Ohr, kommt man unwillkürlich vom einen zum anderen. Es gehört zum Standardnachdenken über Bowies Berliner Zeit, sich in ihr zwei Mythen treffen zu lassen. Bowie musste, so der Bowie-Mythos, sich in Berlin selbst neu erfinden. Und Berlin musste das auch tun, nachdem der Frontstadtmythos der Nachkriegszeit versunken und der 68er Aufbruch verblasst war. Für Nachgeborene der Revolte bot Bowie da einen Ausweg aus zu engen Eindeutigkeiten (Kunst machen, Tanztheater entdecken, französische Theoretiker lesen waren andere Auswege). Mit seiner Queerness, Sexyness, Kaputtness, Kunstaffinität und Coolness konnte man Subversion und emanzipative Praxis viel breiter aufstellen als mit simplen Revolutionsideen, die bis dahin tonangebend gewesen waren. Und die heutige Schöneberger Mischung aus Bohemientum und Bürgerlichkeit ist wohl das, was herauskommt, wenn man 30 Jahre später inzwischen doch irgendwie erwachsen geworden sein muss.

Ach, Schöneberger Träumereien. Es ist oft ein kleiner Glücksschub, wenn ich an der Hauptstraße 155 vorbeigehe und mein inneres Spotify mir diese Töne ins Bewusstsein spielt.

Warum David Bowie so wichtig für Berlin war – und ist SEITE 44, 45