Bretter, die die Welt umkehren

REVOLUTIONS-THEATER In „Pachakuti – Das Theater der Revolution“ überprüft und erprobt das Hamburger Hörspiel-Performance-Kollektiv Ligna die Praxis des revolutionären Theaters

Über Kopfhörer verfolgen die Zuschauer die Erzählung, an der sie zugleich mitwirken

VON ROBERT MATTHIES

Die Idee, dass eine Welt in den reißenden Strömen einer Flut zugleich untergeht und entsteht, findet sich nicht nur in der biblischen Darstellung der Sintflut. Schon der sumerisch-babylonische Gilgamesch-Epos kennt die schöpferische Flutkatastrophe, die nur wenige Auserwählte überleben, denen die neue Welt anvertraut wird. Die alt-isländische Prosa-Edda berichtet ebenfalls von einer weltweiten Welle, die nur der Riese Bergelmir und seine Frau überleben, auch in der Traumzeit der australischen Aborigines, im chinesischen Altertum und im Hinduismus finden sich Mythen von alles vernichtenden Fluten und Überschwemmungen, aus denen schließlich eine neue Welt hervorgeht.

Und auch die Andenländer kennen die Idee einer „Wasser-Zeitenwende“. Die Inka-Legende von der pan-andinen Schöpfergottheit Qun Tiksi Wiraqucha berichtet, dass diese fast alle Menschen rund um den Titikaka-See in den Fluten der „Unu Pachakuti“, der „Weltumkehr“, sterben ließ. Nur zwei überlebten, um die Zivilisation in die Welt zu bringen. Noch heute besitzt „Pachakuti“, die Vorstellung eines alle Dinge transformierenden Ereignisses, in den Anden eine weitreichende Bedeutung. Die Kolonisierung durch die Spanier gilt ebenso als Zeitenwende wie die ersehnte Überwindung der Kolonialherrschaft. Bevor die südamerikanischen Nationalstaaten entstanden, gab es eine Reihe von gescheiterten Versuchen, „Pachakuti“ herbeizuführen.

In ihrer Arbeit „Pachakuti. Das Theater der Revolution“ reflektiert das Hamburger Hörspiel-Performance-Kollektiv Ligna ausgehend vom „Theater der Unterdrückten“ des brasilianischen Theaterregisseurs, -autors und -theoretikers Augusto Boal ab Mittwoch einige dieser Versuche, eine Weltumkehr herbeizuführen. Zentral war für Boal in den 1960ern, die Trennung zwischen Zuschauer und Schauspieler, zwischen Rezipient und Produzent, zu überwinden.

Kunst und Selbsterfahrung kombiniert das „Theater der Unterdrückten“ mit politischem Probehandeln. Der passive Zuschauer soll vom Objekt zum aktiven Produzenten, zum Subjekt der Handlung werden: Theater als Dialog über die Bedingungen, die Herrschaft zu überwinden. In diesem Sinne reflektiert Ligna mit „Pachakuti“ das Verhältnis von Theater und Revolution. Über Kopfhörer verfolgen die Zuschauer die Erzählung, an der sie zugleich mitwirken. Aktionen, Bewegungen und Gesten werden vorgeschlagen, führt man sie aus, ordnet man sich einer bestimmten Gruppe zu und tritt miteinander in Kommunikation. Der Raum des Theaters verwandelt sich dabei in ein Labor, in dem gemeinsam und spielerisch die gesellschaftlichen Bedingungen zur Überwindung von Herrschaftsstrukturen untersucht werden.

Wie eng Theater und tatsächliche Revolution zusammenhängen, wird dabei schon an einem der Anknüpfungspunkte von „Pachakuti“ deutlich. Das quechuasprachige Theaterstück „Apu Ollantay“ handelt von den Folgen einer verbotenen Liebe eines Inka-Generals zut Tochter des Herrschers, die zu dessen Suspendierung und schließlich zu einer Revolution und zum Aufstand gegen den Inka-Herrscher führt. Einer der ersten Aufstände gegen die spanischen Kolonialherren wurde durch die Aufführung des Stücks ausgelöst.

■ Mi, 15. 12., 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20; weitere Termine: Fr, 17. bis So, 19. 12., je 19.30 Uhr