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: Junge Wilde? Jetzt mit Plan!

Von der Notlösung zur Erfolgsformel: Beim VfB Stuttgart wird ein Medienschlagwort dann doch noch zum Konzept

In Stuttgart geht’s mal wieder jung und wild zu. „Stuttgarts junge Wilde II“ sind ja gerade in der Fußball-Bundesliga unterwegs. Die „Rückkehr der jungen Wilden“ wird bejubelt. Und wenn dann einer der „jungen Wilden“ zwei Tore schießt, dann ist er schlicht „der nächste junge Wilde“. Das heißt: Die Marke „junge Wilde“ hat sich der VfB offensichtlich auf Ewigkeiten gesichert – und wahrscheinlich längst beim Patentamt in München eintragen lassen. Und wenn der Tabellenführer es nicht getan hat, kann er es rasch vor dem Spiel heute beim Tabellenvierten FC Bayern München nachholen.

All das Marken-Rezitieren suggeriert einen Masterplan, der das Junge mit dem Wilden und zudem noch mit dem Regionalen als jahrelange, unumstößliche Erfolgsformel des VfB kennzeichnet. Allein: Es ist eine doch zu schön klingende Geschichte. Es gab schon immer – sagen wir es eben auch – „junge Wilde“ beim VfB. Nur a) hatte der Verein für sie nicht allzu häufig Verwendung. Und b) erst in dieser Saison einen wirklichen Plan.

Die vergangenen fünf Jahre des Clubs betrachtet, könnte man den Umgang mit den „jungen Wilden“ in drei Phasen einteilen:

die Magath-Phase, die Trapattoni-Phase und die Veh-Phase.

Die Zeit unter Trainer Felix Magath (24. Februar 2001 bis 30. Juni 2004) war jene, als der VfB unter Gerhard Mayer-Vorfelder einen Schuldenberg von 30 Millionen Euro angehäuft hatte. Keine großen Sprünge, keine großen Transfers waren da möglich: Das Vertrauen in den eigenen, ja traditionell erfolgreichen Nachwuchs (zehn deutsche A-Jugend-Meisterschaften seit 1973) war eine Notlösung. Und entsprach so gar nicht Mayer-Vorfelders Vorstellungen, der wahrscheinlich noch heute, wenn er Gast ist auf der Tribüne des Gottlieb-Daimler-Stadions, von Christoph Daum träumt. Aber: Die Kevin Kuranyis, Andreas Hinkels, Philipp Lahms, Alexander Hlebs, Timo Hildebrands waren erfolgreich. Sie wurden Vizemeister 2003 und scheiterten in der Champions League unglücklich im Achtelfinale gegen Chelsea. Und zwar unter einem Trainer, der damals noch nicht der „Startrainer“ war, der er heute beim FC Bayern München vielleicht sein mag. Magath war zum Konzept gezwungen.

Ein Konzept, das – trotz der Erfolge und der Transfererlöse (besonders für Hleb und Kuranyi) – dennoch weichen musste. Und zwar der schwäbischen Sehnsucht, das pietistische Moment hinter sich zu lassen und durch ein weltliches Moment zu ersetzen – nennen wir es: die schwäbische Vorstellung von internationalem Glanz und Glamour. Es begann die: Trapattoni-Phase. Und damit die Abkehr vom Konzept. Vor allem die Clubführung mit dem Vorsitzenden Erwin Staudt, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dieter Hundt sowie dem Vernehmen nach Sponsor EnBW (Utz Claassen) wollten den „Startrainer“ Giovanni Trapattoni (1. Juli 2005 bis 9. Februar 2006). Internationales Flair und so. Unbedingt. Mit Trapattoni kamen auch noch Jon Dahl Tomasson und Jesper Grönkjaer. Aus der Serie A und der Primera Division. Vom AC Mailand und von Atlético Madrid. Es war die Abkehr von sportlicher Konzeptionsarbeit. Und es war seltsamerweise die Zeit, da die Clubführung immer noch lange von „jungen Wilden“ schwärmte, obwohl nur noch Hildebrand übriggeblieben war. Bzw. Mario Gomez oder Christian Gentner neu hinzugekommen waren, aber zumeist auf Bank oder Tribüne saßen.

Heute schwärmt Hundt von den „Parallelen zu der Zeit mit Felix Magath“. Parallelen? Die Veh-Phase ist keine Wiederauflage der Magath-Phase. Denn die „jungen Wilden“ sind Teil eines Gesamtkonzepts. Und zwar nicht der Clubführung, sondern der sportlichen Leitung mit Trainer Armin Veh (seit 11. Februar 2006) und Teammanager Horst Heldt. Veh wurde von Hundt ja nur als „Übergangslösung“ eingeführt. Ein scheinbar untilgbares Erbe großmannssüchtiger VfB-Träume. Denn Veh hatte bisher in den Augen der Clubführung kaum etwas zu bieten – außer den SSV Reutlingen, Hansa Rostock, FC Augsburg. Nur „schnöden“ Konzeptfußball. Aber die Mängel beim fachlichen Wissen der Clubführung war schon immer ein Stuttgarter Charakteristikum (siehe: Mayer-Vorfelder).

Veh hat funktional gemäß seines Spielsystems (4-Raute-2) eingekauft. Nicht nach Namen, sondern nach auszufüllenden Positionen also. Er vertraut dabei auf die „jungen (reichlich reifen, spielerisch intelligenten, offensiv ausgerichteten) Wilden“, ohne sie zu überfordern. Vor allem hat er den Willen, diese auch vorzuziehen, selbst wenn sie Schwächephasen durchlaufen sollten. Insofern ist die Veh-Phase die erste, die mit dem Konzept der „jungen Wilden“ wirklich geplant hat.

Wie lange das hält? So lange, wie sich die Clubführung des VfB Stuttgart nicht mehr sportlich betätigt. THILO KNOTT