Der Himmel über der Steppe

COUNTRY & EASTERN Die Band Hanggai aus Peking paart Pferdekopfgeige und Kehlkopfgesang mit Punkattitüte. Ihr neues Album „Baifang“ sollte auch Indierocker aufhorchen lassen

Der Trab der Pferde hat sich im Rhythmus der mongolischen Musik eingeschrieben

VON THOMAS MAUCH

Da ist jetzt auch die Geschichte vom Pferd. Selbst wenn es überhaupt nicht stimmt, dass alle Mongolen auf dem Rücken eines Pferdes geboren sind. Tatsächlich soll es sogar Mongolen geben, die noch nie auf so einem Tier gesessen sind. Trotzdem kommen sie einfach nicht los vom Pferd.

Man hört es in der Musik. Der Trab der Pferde, er hat sich eingeschrieben in den Rhythmus der mongolischen Musik.

Und so traben die Pferde auch in der Musik von Hanggai, obwohl die Band ihre Homebase in Peking hat. Einer Stadt, in der man gegenwärtig doch mehr dem Auto huldigt und in der man an den normalen Smogtagen so was wie das Grasland der Steppe mit dem hohen Himmel darüber nicht mal ahnen kann. Die Mongolei ist in der chinesischen Hauptstadt fern. Und ausgerechnet da pflegen nun die aus der Inneren Mongolei stammenden Hanggai-Musiker mit Khoomei, dem mongolischen Kehlgesang, und den Pferdekopfgeigen die traditionelle Musik.

Eine Folklore-Museum, könnte man meinen. Ist aber eher Punk. Punk im Sinne eines radikalen Schnitts, der wieder was mit einer Wurzelsuche zu schaffen hat. Die Lieblingsband des Hanggai-Gründers Ilchi war mal Rage Against the Machine, und von einer derart heftigen Musik wollte er auch mit seiner früheren Band T9 hören lassen – bis er merkte, dass er sich in derlei Rock nicht mehr wiederfand. Und sich an die traditionelle mongolische Musik erinnerte. Diese Umbruchphase ist auch in dem 2006 erschienenen Film „Beijing Bubbles“, der Doku über Pekings Punkszene, mit einem wirklich anrührenden Küchenkonzert dokumentiert.

Die ersten Aufnahmen von Hanggai waren dann streng akustisch und ohne alle modernen Beimengungen. Mittlerweile aber sieht man das bei der Band nicht mehr so eng mit der Traditionspflege, wie man wieder auf ihrem aktuellen Album „Baifang“ hören kann, dem nunmehr dritten, auch im Westen erscheinenden Album.

Das ist eine geschickte Mischung aus der traditionellen Musik, mongolischem Folkpop und eben auch Rock geworden. Wobei Letzterer doch so behutsam eingesetzt wird, dass selbst Puristen, die eigentlich der Meinung sind, dass sich zu ihren Pferdekopfgeigen nur ja nicht Elektrisches gesellen darf, nicht wirklich verschreckt sein müssen. Sie dürfen die Hanggai-Musik mit den sehnsuchtsvollen Gesängen durchaus zu den Alben etwa von Huun-Huur-Tu sortieren, dem Ensemble aus Tuva, das diese Art der Musik im Westen populär gemacht hat.

Einerseits. Und andererseits rockt das bei manchem verschärften Titel auf „Baifang“ auch wieder so schneidig, dass jeder Indierocker doch mal aufhorchen sollte und die Fans einer gelassen psychedelischen Musik sowieso, wegen der hier immer noch exotischen Klangfarben und wegen dem ungemeinen Sog in die Weite in dieser Musik. Der hohe Himmel über dem Grasland der Steppe, man hört ihn auch hier.

Zwischendurch gibt es bei einem Titel auf dem Album auch ein Offbeat-Experiment, bei dem man beim Hören kurz mal aus dem Tritt kommt. Aber selbst mit Reggae funktioniert diese Mongolenmusik dann irgendwie. Gern wird sie mit dem Schlagwort vom Crossover etikettiert. Stimmungsmäßig aber würde wohl so was wie Alternative Country wohl besser passen. Oder halt Country & Eastern.

Es ist letztlich ja die Geschichte vom Pferd. Muss auch bei Hanggai so sein. „Beautiful Mongolian Horse“ ist der Titel eines Lieds auf „Baifang“. Und auf der Rückseite des Albums sind die Musiker, wie es der Brauch will, auf dem Rücken von Pferden zu sehen.

Wobei bei genauerer Betrachtung und dem Durchzählen der Musiker doch auffällt, dass bei diesem Bild eines der Hanggai-Mitglieder fehlt. Diese Merkwürdigkeit ist bestimmt nur damit zu erklären, dass das der war, der das Foto gemacht hat.

■ Hanggai: „Baifang“ (Harlem Recordings/Bertus)