In der Mitte des schwarzen Atlantiks

REPORTAGE Einst waren die Kapverden eine Drehscheibe des Sklavenhandels. Mit der Messe „Atlantic Music Expo“ wollen sie jetzt zum Knotenpunkt des transatlantischen Kulturaustauschs werden

VON DANIEL BAX

Die Trommlerinnen der „Batucadeiras de Tarrafal“ sitzen im Halbkreis und schlagen auf Plastikkissen ein, die auf ihrem Schoss liegen. Tschakatschakatschak. Unentrinnbar rattert der Rhythmus, über den sich ihr kreolischer Gesang legt. Mit ihren weißen Kopftüchern und gestärkten Blusen erinnern sie ein wenig an ehrwürdige Candomblé-Priesterinnen aus Brasilien, ab und an tritt eine von ihnen vor und schwingt die Hüften.

Der Percussion-Gruppe konnte man während der viertägigen Atlantic Music Expo in Praia, der Hauptstadt der Kapverden, immer wieder begegnen. An diesem Abend sitzt sie auf der Bühne des Quintal da Musica, eines legendären Musikrestaurants in der Altstadt, dem Plateau. An den Wänden hängen Fotoporträts aller Größen der heimischen Musikszene, an den weiß gedeckten Tischen sitzen Familien, Paare und Journalisten. Manche der Gäste können sich dem hypnotischen Sog der Percussion nicht entziehen, steigen auf die Bühne und lassen dort ebenfalls die Hüften kreisen, zur Erheiterung der Trommlerinnen.

Musik als Touristenmagnet

Der Mann, der dafür verantwortlich ist, dass sich die sonst eher verschlafenen Gassen der Altstadt von Praia im April für eine Woche mit Livemusik und Leben füllten, heißt Mário Lúcio Sousa. Als Musiker war er mit der Band Simentera recht erfolgreich. Als Kulturminister der Kapverden, der er seit 2011 ist, möchte er die Musik als Magnet nutzen, um Musikfans, Talentscouts und überhaupt mehr Touristen auf die Inseln zu locken, deren offizieller Name Cabo Verde („Grünes Kap“) ihrer vulkanischen Kargheit Hohn spricht. Bei der Eröffnung der Messe im protzig-modernen Parlaments- und Konferenzgebäude, der Assembleia Nacional, ließ auch Premierminister José Maria Neves wenig Zweifel daran, dass es bei diesem ambitionierten Ziel auch um Wirtschaft, Wachstum und Entwicklung geht.

Die Kapverden liegen ziemlich genau in der Mitte des „schwarzen Atlantiks“, wie der britische Postkolonialismus-Theoretiker Paul Gilroy diesen Kulturraum einmal getauft hat. Früher waren sie ein Drehkreuz des transatlantischen Sklavenhandels. Die Schiffe, die zwischen Portugal, seinen Kolonien und der afrikanischen Küste verkehrten, führten Menschen, Waren und Traditionen mit sich, und die Siedler, die sich auf den zuvor menschenleeren Inseln niederließen, vermischten sich mit eingeschleppten Sklaven.

Aus dieser durchaus gewalttätigen Vergangenheit möchte Mário Lácio Sousa neue Impulse schöpfen. Denn die Musik gehört inzwischen zu den wichtigsten Exportgütern der Inselgruppe. Zahlreiche kapverdische Künstler haben über Portugal oder Paris den Sprung zu einer internationalen Karriere geschafft.

Kreolisierung im Kopf

Während der Atlantic Music Expo im April – es war die zweite Ausgabe nach der Premiere im vergangenen Jahr – konnten die Fachbesucher in einem schmucken Kolonialbau, mit Dachterrasse und Künstlercafé, an Workshops, Panel-Debatten und kleinen Showcases im Atrium teilhaben. Abends präsentierten sich in der Altstadt lokale und ausländische Newcomer wie das karibische Elektrodance-Outfit Kuenta I Tambu aus den Niederlanden auf großen Open-Air-Bühnen. Nahtlos schloss sich an die Messe ein Jazzfestival an, bei dem etablierte Stars wie Senegals Schmusebarde Ismael Lo oder der US-Jazzsaxofonist Kenny Garrett auftraten.

Auf einem Panel mit dem programmatischen Titel „Being Creole is a state of mind“ legte Mário Lúcio, wie immer im weißen Anzug, seine Vision dar. Er zitierte den karibischen Essayisten Édouard Glissant: „Die Kultur der Zukunft wird kreolisch sein“, und gab sich überzeugt: „Die Kapverden können dem Rest der Welt darum als Vorbild dienen.“

Sein Kollege, der brasilianische Popstar Chico César, inzwischen auch Staatssekretär für Kultur im nordöstlichen Bundesstaat Paraíba, setzte dieser romantischen These etwas Realismus entgegen. Für ihn bedeute Kreolität auch einen Kampf um Anerkennung und, vor dem Hintergrund des Rassismus in Brasilien, eine Form des Widerstands. An der Universität hätten ihn die Professoren „wie einen Weißen“ behandelt, auf der Straße habe ihn die Polizei dagegen angehalten, weil sie ihn als Schwarzen ansahen. „Ich habe mich kreolisiert“, so der Autor von Hits wie „Mama Africa“, der sich in der Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegung seines Landes verortet. „Das hat mich gerettet.“

Das Erbe der Cesaria Evora

Die bekannteste Botschafterin der kapverdischen Musik war zweifellos Cesária Évora. Einst sang sie als Barsängerin in ihrem Heimatort Mindelo für ein paar Münzen, bevor sie als „barfüßige Diva“ mit ihren Balladen voll süffiger Melancholie weltweit Anklang fand. Als Évora im Dezember 2011 mit 70 Jahren starb, herrschte auf den Kapverden eine zweitägige Staatstrauer, und der Staatspräsident rühmte die Verstorbene, sie habe mit ihrer Musik „die Welt erleuchtet“. Tausende folgten ihrem Sarg, den 30 Ehrengardisten begleiteten.

Bei der Atlantic Music Expo rezitierte das ehemalige Orchester von Cesária Évora deren Evergreens, eine Hommage an die Verstorbene, die auch ohne die so Geehrte erstaunlich gut gelang. Die jüngere Generation geht jedoch eigene Wege. Die Sängerin Neuza, die sich spät abends in einer Bar in Praia präsentierte, klingt zwar wie eine junge Évora, setzt aber mehr auf die flotteren Coladeira-Klänge, verbindet sie mit Elementen ihrer Heimatinsel Fogo und verleiht ihnen so neue Frische: Sodade ohne Schwermut.

Schuld war nur der Funaná

Während die Stile der nördlichen Inseln, die im 19. Jahrhundert von britischen Kohledampfern angesteuert wurden und von denen Cesária Évora stammte, einen starken europäischen Einschlag aufweisen, spiegelt sich auf den südlichen Inseln das afrikanische Erbe stärker.

Von dort stammen Ferro Gaita, die aktuellen „Könige des Funaná“. Der Tanzstil basiert auf dem Zusammenspiel vom Ferro, einer Art Reibeisen, und dem Akkordeon, Gaita genannt – von daher rührt der Name der Band, Ferro Gaita. Gegründet haben sie sich vor 18 Jahren. Die meisten populären Funaná-Bands hatten damals das Akkordeon durch Keyboards ersetzt. Ferro Gaita kehrten zu den ursprünglichen Roots zurück, ergänzten sie jedoch um Bass-Gitarre und weiteres Percussion-Gerät.

„Es ist eine Musik zum Feiern, aber sie hat auch eine politische Seite“, betont der Akkordeonist Iduino. Das erkläre sich nicht zuletzt aus der Geschichte des Genres. Katholische Priester sollen das Akkordeon auf die Inseln gebracht haben. „Die Sklaven haben die Tonalität des Instruments geändert und Noten hinzugefügt, die es vorher nicht gab“, so Iduino. „Außerdem nutzten sie es, um Botschaften auszutauschen und über die Musik zu kommunizieren.“ Die portugiesischen Autoritäten fürchteten, das könnte zu einer Rebellion führen, und erklärten Funaná offiziell für verboten.

Im Untergrund lebte das Genre aber weiter, und nach der Unabhängigkeit 1975 gab es eine regelrechte Funaná-Explosion, das Genre wurde kommerzialisiert. „Auch die kommerziell erfolgreichen Funaná-Künstler haben bis heute ein paar sozialkritische Songs im Gepäck“, betont Iduino jedoch. Er trägt Dreadlocks und ist ein großer Fan von Bob Marley. Doch auch wenn Ferro Gaita mit ihrem grün-gelb-roten Bühnenoutfit selbst wie eine Reggae-Band wirken – ihr Stil ist völlig eigen und ganz in lokalen Traditionen verwurzelt.

Ein Rapper kehrt heim

Die Kapverden sind seit jeher ein Auswanderungsland. Zwei Drittel aller rund 1,5 Millionen Kapverdier leben über den Globus verstreut, mehr als auf dem Inseln selbst, die größten Exilgemeinden finden sich in Portugal, den Niederlanden und den USA. Inzwischen kehren manche aber auch wieder zurück.

Der Großvater von Chachi Carvalho etwa kam 1972 auf einem kleinen Schiff aus den Kapverden in die USA. Der Enkel ist dort heute in der Rap-Szene aktiv, und seit er vor drei Jahren auf den Kapverden einen Hit landete, kehrt er immer häufiger zu Konzerten und Gigs in die Heimat seiner Vorfahren zurück, wo er inzwischen Star-Status genießt.

„Schade, dass mein Vater das nicht mehr erleben konnte“, bedauert Chachi. Der Vater sang in seiner Freizeit kapverdische Mornas, Chachi trägt sein Bild als Tattoo auf dem Oberarm und spielt von seinem Handy eine Aufnahme von ihm vor. „In unserer ganzen Straße wohnten nur Kapverdier“, erzählt er von seiner Jugend in Rhode Island, wo die Familien das Wochenende früher mit stundenlangem Barbecue verbrachten: „Sogar unser irischer Nachbar hat etwas Kreolisch gelernt.“

Zwei Tage zuvor hatte Chachi Carvalho einen großen Auftritt auf der „Urban Stage“ in einem Park der Altstadt, mit Blick auf die Hafenbucht von Praia. Sein Mix aus rockigen Electro-Beats, souligen Momenten und Conscious Lyrics kommt beim jugendlichen Publikum gut an.

Für Chachi Carvalho hat sich die Reise zur Music Expo gelohnt. Zurück in den USA, verkündete er auf Facebook, er habe jetzt für den Sommer gleich mehrere Einladungen erhalten – nach Europa, Afrika und auf vier der neun Kapverdischen Inseln.

■  Die Reise wurde von Piranha und Atlantic Music Expo ermöglicht