Viele rote Fahnen

BRASILIEN II Die Protestbewegung gegen die WM gewinnt im Gastgeberland eine klarere politische Ausrichtung. In gut 50 Städten wird demonstriert

RIO DE JANEIRO taz | International sollte der Protesttag gegen die Fußball-WM 2014 sein. Der Schulterschluss über die brasilianischen Landesgrenzen hinaus wollte indes nicht recht gelingen. Die britische BBC meldete, dass die angekündigten Proteste in Paris und London abgesagt wurden. „Es wird keine WM geben, aber Streiks!“ Mit kämpferischen Parolen lenkten in Rio de Janeiro Lehrer, die seit Montag im Ausstand sind, streikende Uni-Angestellte und Busfahrer ihre Demonstrationen dorthin, wo sich am Donnerstagnachmittag Hunderte zum sogenannten ersten internationalen Protesttag gegen die „Copa“ versammelten.

Immerhin 4.000 Menschen zogen zum Rathaus. Wie bei den Massendemos im vergangenen Juni ging es gegen die hohen staatlichen Ausgaben für das Sportspektakel, die nach Meinung der Demonstranten lieber in Bildung, Gesundheit und öffentlichen Nahverkehr investiert werden sollten. Auf Transparenten und Pappschildern wird die Vertreibung Tausender aus ihren Wohnungen kritisiert und dass Investitionen ausschließlich für die Verschönerung des Stadtzentrums getätigt werden.

Auch in rund 50 weiteren Städten wie Belo Horizonte, Porto Alegre oder der Hauptstadt Brasília wurde demonstriert. In São Paolo kam es schon tagsüber zu Straßenblockaden und Protestzügen. Mindestens 40 Menschen wurden festgenommen.

Die Aktivistin Beatriz Carvalho freute sich mit Blick auf die landesweiten Proteste über „einen gelungenen Auftakt“. Sie glaubt allerdings nicht, dass es wieder zu großen Massendemonstrationen kommt. „Aber eine ruhige Copa wird es nicht werden. Es gibt zu viele Gründe, sauer zu sein.“ Auch viele rote Fahnen von kleinen linken Parteien und den Gewerkschaften waren zu sehen. Diese organisierte Linke wurden im vergangenen Juni oft ausgebuht – vielen sahen in ihnen Unterstützer der regierenden Arbeiterpartei PT. Damals protestierten schließlich zahlreiche Menschen auch gegen Korruption, für die sie vor allem die an der Regierung beteiligten Politiker verantwortlich machten. Teilweise gelang es den oppositionellen Massenmedien gar, rechte Inhalte der breiten Proteste in den Vordergrund zu rücken.

Seitdem haben die Proteste eine klarere politische Ausrichtung und sind entsprechend kleiner. Auch die Angst vor Gewalt hält viele vom Demonstrieren ab. Vergangenen Juni lieferte sich der „Schwarze Block“ immer wieder heftige Straßenschlachten mit der Polizei. Die Regierung will indes die Bewegung spalten. Sie unterscheidet zwischen den friedlichen Demonstranten und den „Vandalen“. Ein geplantes Gesetz, das Unruhestifter als „Terroristen“ anprangert und hohe Haftstrafen vorsieht, ist zwar diese Woche auf Eis gelegt worden. Dennoch sprechen Aktivisten von einer Kriminalisierung der sozialen Bewegungen und machen die aggressive Polizei für die meisten Tumulte verantwortlich. „Heute geht es erst einmal darum, unser Recht auf Meinungsäußerung durchzusetzen“, sagte Sandra Quintela vom WM-kritischen Comitê Popular da Copa.

Derweil wiegelt die Regierung ab. Es gehe bei den Protesten nicht um Missstände rund um die WM, erklärte Präsidialamtsminister Gilberto Carvalho. Die Menschen nutzten nur das Scheinwerferlicht, um legitime Forderungen zu präsentieren.ANDREAS BEHN

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