Die Leerstelle wird endlich gefüllt

Baubeginn, wo einst die Zwillingstürme des World Trade Center standen: Nach jahrelangen Streitereien entstehen ab heute in Manhattan der 541 Meter hohe neue Freedom Tower, die 9/11-Gedenkstätte und ein Nahverkehrsknotenpunkt

AUS NEW Y0RKADRIENNE WOLTERSDORF

„Es ist eine Schande, wie über Ground Zero gestritten wurde“, sagt ein Mann in Regenmantel und geht schnell weiter, denn an diesem Donnerstagnachmittag gießt es in New York in Strömen. Unter dem Grau des Himmels liegt ein riesiges graubraunes Erdloch, so tief, dass die wenigen Neugierigen fast nichts sehen von dem, was sich da unten im Ground Zero so tut. Ein drei Meter hoher Metallzaun, auf dem mit Fotos und Texten an die Angriffe vom 11. September 2001 erinnert wird und der die Besucher daran hindert die Baustelle zu betreten, ist bislang das einzige sichtbare Bauwerk.

Sieben Stockwerke tief im Erdreich sind Arbeiter dabei, letzte Vorbereitungen für den Baubeginn zu treffen. Eine einsame Stahlkonstruktion ist schon fertig. Sie bildet den Mittelpunkt und gleichzeitig die Hülle für den zukünftigen Fahrstuhl und das Treppenhaus des Freedom Towers. Ein Meter zwanzig dick sollen die Betonwände hier werden. Davor, in einer Reihe, tiefe, viereckige Aushebungen, hier werden die säulenartigen Fundamente des gigantischen Bauwerks eingelassen werden. Insgesamt 60 Meter hoch soll allein das Fundament werden. An diesem Freitag kommen die ersten betongefüllten Lkws, und endlich kann der Bau beginnen.

„In den letzten sieben Monaten ist hier mehr passiert als in den vergangenen Jahren“, sagt Anthony Coscia, Vorsitzender der New Yorker Hafenbehörde, der das Grundstück zwar gehört, die es aber langfristig verpachtet hat an die Silverstein Gruppe. Vorausgegangen waren Jahre der Auseinandersetzungen darüber, was genau neben der Gedenkstätte für die rund 3.000 Toten des Anschlags gebaut werden dürfe. Und ob es sich nun um ein Mahnmal oder ein Grab für viele nicht geborgene menschliche Überreste handelt.

Ein komplexer Prozess, in dessen Geschichte selbstverständlich am meisten über Geld, das fehlte, gestritten wurde. Nun werden an dem Ort, an dem einst die Zwillingstürme des World Trade Centers die Manhattaner Skyline überragten, drei Großprojekte gleichzeitig entstehen. Der 541 Meter hohe Freedom Tower, die Gedenkstätte und ein Transportdrehkreuz für den Öffentlichen Nahverkehr. Alles soll sich auf verschiedenen Ebenen ineinander verweben und verschlingen.

Während nun lastwagenweise Baumaterial herangeschafft wird, geht die Suche nach verstreuten menschlichen Überresten immer noch weiter. Aufgeschreckt durch den zufälligen Fund vor einigen Wochen von Knochen und Knochensplittern in einem aufgegebenen Kanalschacht, kündigte der New Yorker Vizebürgermeister Edward Skyler daher am Donnerstag an, die Suche nach weiteren Überresten fortsetzen zu wollen. Ab Dezember soll die Suche wieder systematisch aufgenommen werden.

Sektor für Sektor um das ehemalige World Trade Center, bis zu mehreren Straßenzügen entfernt, sollen Materialteile eingesammelt werden. Jegliches organische Gewebe soll anschließend von Forensikern und Anthropologen im Amt des Medizinischen Chief Examiners untersucht werden, um weitere Klarheit in die Liste der Toten bringen zu können. Skyler kündigte zudem an, dass bereits ab Montag ein weiteres Mal die Dächer der umliegenden Hochhäuser untersucht würden. Denn seit September vergangenen Jahres sind insgesamt weitere 760 menschliche Überreste allein auf dem Dach des Deutsche-Bank-Gebäudes gefunden worden, einem Gebäude, das gegenüber von Ground Zero steht, jenseits der Straße der Freiheit, der Liberty Street.