Die Ein-Minuten-Antwort

SPITZENKANDIDATEN Bürokratischer lässt sich eine Talkshow nicht gestalten, aber den völlig ratlosen Gästen kam das krasse Regelwerk entgegen

Es war das TV-Event dieser Woche. In fast ganz Europa und angeblich sogar in Kanada haben sich Menschen vor den Bildschirmen versammelt, um die von der Eurovision veranstaltete TV-Debatte der Spitzenkandidaten der großen europäischen Parteienbündnisse zu verfolgen.

Es war der Konservative, der das Wort Solidarität als Erster bemühte, es war ein Liberaler, der als Erster den Klimawandel als Problem benannte. Es war der Sozialdemokrat, für den Bürgerinnen und Bürger vor allem Steuerzahler sind, und die Grüne bemühte das Wort vom europäischen Traum. Klar, alle hatten sie ein gutes Wort für die Arbeitslosen übrig – vor allem für die jungen Arbeitslosen.

Der Konservative Jean-Claude Juncker („Ich mag Griechenland“) glaubte nun, dass in der Digitalwirtschaft 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden können, wenn nur die Staatshaushalte gesund sind.

Alexis Tsipras, Chef der Europäischen Linken und eingefleischter Anti-Merkelist, verfluchte die Ideen seiner Kontrahenten als alt. Sie seien es doch gewesen, die Südeuropa in die Katastrophe geführt haben: Schluss mit dem Fingerzeigen auf die Länder Südeuropas!

Und während Martin Schulz, der europäische Supersozialdemokrat, der zwar keinen Fußballklub besitzt, aber immerhin beinahe Profi geworden wäre, das Heil im Kampf gegen Steuerhinterzieher und irgendwie auch im Öko- und IT-Markt sucht, ist es Guy Verhofstadt, der das Schuldenmachen als die Wurzel allen Übels bezeichnet. Der Mann ist ein politisches Talent. Als Chef des liberalen Parteienbündnisses im Europäischen Parlament bemühte er sofort das Wort Scheideweg. An dem befände sich Europa. So, so. Immerhin war er derjenige, der am lautesten redete. Oder war es nur sein Dolmetscher, der so schrie?

Auf jede Frage durfte jeder Teilnehmer eine Minute lang antworten, für die direkte Antwort auf eine Einlassung konnte eine blaue Karte, ein Joker, gezogen werden. 30 Sekunden Redezeit hatten die KandidatInnen: Eine TV-Diskussion, so bürokratisch verwaltet wie die EU. Der Countdown auf der Sprechzeituhr half den Kandidaten, ihre Ratlosigkeit beim Thema Russland zu überspielen. Bürokratie kann so hilfreich sein.

Ratlosigkeit herrschte auch beim Thema Immigration. Keller, Juncker, Schulz und Verhofstadt forderten „legale Einwanderung“. Aber warum hat sich da in den vergangenen fünf Jahren so wenig getan? Sind sich die vier doch nicht so einig? Und was ist mit der illegalen Einwanderung? Die ist natürlich bäh. „Wir brauchen Solidarität“, meinte Tsipras und steht damit allein da, obwohl es doch alle so gut meinen mit den Flüchtlingen.

Immerhin waren die Fronten schnell geklärt: Alle auf den Griechen! Tsipras musste sich sogar vorhalten lassen, dass seine Partei einmal einen Kredit aufgenommen hat. So einer, so Verhofstadt, habe nicht das Recht, Banken zu kritisieren. Das Niveau, auf dem da bisweilen diskutiert wurde, war elend.

Keiner der Kandidaten, die das Amt des EU-Kommissionspräsidenten anstreben – der ehrgeizigste Ehrgeizling von allen war gewiss Schulz –, hatte eine Idee, wie man mehr Europäerinnen so für Europa begeistern kann, dass sie auch wählen gehen. Alle wollen alles gegen Korruption tun, eine – Keller – will etwas gegen Lobbyismus tun und einer – Juncker – will alle EU-Bürger zu Lobbyisten der Demokratie machen. Hilfe. ARUE