„Ich bin mir der Ehre bewusst“

Die französischen Sozialisten schicken Royal überraschend einmütig in den Präsidentschaftswahlkampf. Über 60 Prozent stimmen für sie

PARIS taz ■ Strahlend kommentierte die Siegerin noch vor Mitternacht in ihrem Wahlkreis Melle in der von ihr regierten Region Poitou-Charentes ihren Triumph: „Ich bin mir der Ehre bewusst, welche mir die Mitglieder erweisen. Ich werde sie nicht enttäuschen. Gemeinsam werden wir etwas Außerordentliches schaffen. Jetzt starte ich vom Basislager, um zusammen mit den Sozialisten, die mir ihr Vertrauen schenken, bis im Mai 2007 den Gipfel zu erklimmen.“ Bevor sie in einem geradezu demonstrativ bescheidenen kleinen Opel wegfuhr, erklärte sie den begeisterten Anhängern und den zahlreichen Journalisten aus aller Welt, die sie umdrängten: „Ich werde mir selbst treu bleiben.“

Der frühere Linkssozialist Arnaud Montebourg, ihr Kampagnensprecher, kündigte tiefgreifende Änderungen an und geriet ins Schwärmen: „Es ist das Bauwerk eines erneuerten Sozialismus, das jetzt entsteht. Ich glaube, die sozialistischen Mitglieder hatten genug von den alten Geschichten und den Streitereien, welche die Partei nur daran hinderten, sich zu verändern. Jetzt ist aus dieser Larve ein Schmetterling geschlüpft.“

Die Spannung hatte nicht lange gedauert. Die Wahlbüros in den 4.200 Parteilokalen waren noch nicht geschlossen, als schon die ersten Trendmeldungen zirkulierten. „Im Papierkorb liegen lauter Wahlzettel für Fabius und Strauss-Kahn, auf dem Tisch aber mussten wir Zettel für Royal nachlegen“, meldete ein Beobachter aus einem Pariser Wahllokal, der dies als untrügliches Indiz für einen sich abzeichnenden Triumph von Ségolène Royal sah. Ex-Kulturminister Jack Lang, der zugunsten von Royal auf seine eigene Bewerbung um die Nominierung verzichtet hatte, verriet in der Parteizentrale an der Rue Solférino den Journalisten: „Meine Nase, meine Intuition, sagt mir, dass Ségolène in der ersten Runde klar gewonnen hat.“ Seine Prognose wurde durch Teilergebnisse aus dem ganzen Land laufend bestätigt. Schon bald meldeten auch die Fernsehsender, an einer sehr deutlichen Nominierung der Favoritin zur Präsidentschaftskandidatin bestehe kein Zweifel mehr, da sich beim Auszählen der Stimmen praktisch überall klare Mehrheiten für sie abzeichneten.

Früher als geplant bestätigte dann Parteisprecher Stéphane Le Foll das Ergebnis der Vorwahlen: Ségolène Royal erhielt 60,6 Prozent, Dominique Strauss-Kahn 20,8 Prozent und Laurent Fabius 18,6 Prozent. Die beiden Unterlegenen erkannten sofort ihre Niederlage an und riefen zur Einheit auf. Von einem „Triumph“, einem „Plebiszit“ oder gar einer „Flutwelle“ sprach gestern die französische Presse.

An ihrem ersten Auftritt als offizielle Kandidatin rief Ségolène Royal gestern Mittag die Franzosen und Französinnen auf, sich an ihrem Programm der Erneuerung aktiv zu beteiligen: „Erfinden wir gemeinsam ein Frankreich, das den Mut hat, den Veränderungen der Welt zu begegnen, ohne auf sein Ideal der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu verzichten!“ Wer dagegen „den Franzosen nur vom unaufhaltsamen Niedergang erzählt und verlangt, dass Frankreich auf seine Einmaligkeit verzichtet“, leiste dem Land einen schlechten Dienst. Ihre Landsleute müssten „keine Angst vor neuen Ideen haben“. Die Nation ist für sie kein antiquierter Begriff, sondern für die Bürger unverzichtbar, um gegenüber der Globalisierung bestehen zu können. In ihrer kurzen programmatischen Rede versprach sie ein Konzept der Mitbestimmung der Bürger auf allen Ebenen: „Die Welt und Frankreich haben sich verändert, die Politik muss sich auch ändern. Ich möchte nicht nur diesen tiefgreifenden Wandel verkörpern, sondern ihn mit Ihnen allen verwirklichen.“ Alle sollten sich überlegen, was sie für die Nation tun könnten, zitierte sie John F. Kennedy.

Royal besteht auf ihrer Bewegungsfreiheit gegenüber dem Parteiapparat: „Das Volk hat diese Geschichte geschrieben, als alle sich über die Popularitätsumfragen lustig machten.“ Sie sei darum eine „Kandidatin der Leute, sie werde sich nicht unterordnen“ , weil sie „als Sozialistin die Revolte im Herzen“ trage.

Für Parteichef François Hollande verkörpert Ségolène Royal „ganz einfach den Sozialismus von heute, ohne das ideologische Erbe der Partei zu verleugnen“, weil sie es verstanden habe, dank ihrer direkten Sprache mit dem Land eine Beziehung zu knüpfen. Diese Originalität solle sie bewahren. Was die Nominierung und die eventuelle Wahl seiner Lebensgefährtin für ihn persönlich bedeute, wollte Hollande gestern nicht sagen. RUDOLF BALMER