Frankreichs Abenteuerlust
: KOMMENTAR VON RUDOLF BALMER

Ségolène Royal lädt ihre Landsleute zu einer politischen Expedition ins Unbekannte ein. Wie weit geht die politische Abenteuerlust der Franzosen? Schmeichelhafte Umfrageergebnisse machen die Sozialistin heute zur Favoritin für die Präsidentschaftswahlen, doch diese sind erst in fünf Monaten.

Die „partizipative Demokratie“, die sie als Inbegriff einer neuartigen Mitbestimmung vorschlägt, ist in Frankreich ein Fremdwort. In diesem Zentralstaat haben die Bürger zwischen den Wahlen alle fünf Jahre nur wenige Mittel, auf die Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Wie frustriert sie deswegen sind, verdeutlichten sie beim Referendum über den EU-Verfassungsvertrag, das eine Mehrheit ganz einfach nutzte, um ihre Unzufriedenheit zu demonstrieren. Mit den traditionellen Programmen und Arbeitsweisen sowohl der Rechten als auch der Linken war kein Staat mehr zu machen. Immer mehr Wähler gingen nicht mehr zur Urne, oder sie wählten aus Protest die Listen extremistischer Parteien und Gruppierungen.

Ségolène Royal trifft also einen wunden Punkt, wenn sie die Bürgerinnen und Bürger zur Mitsprache und politischen Mitarbeit einlädt. Dies erklärt zum Teil sicher ihren Publikumserfolg. Das Echo, das ihre Kampagne findet, ist ein Produkt dieser Krise der repräsentativen Demokratie. Ob ihre Vorschläge auch wirklich eine Lösung dafür sein könnten, ist allerdings völlig offen. Am französischen System mit seinen längst diagnostizierten Gewohnheiten, Standesinteressen und lähmenden Mechanismen sind schon so viele Reformversuche und Erneuerungsprojekte gescheitert. Das institutionelle Korsett der gaullistischen Verfassung mit dem monarchisch anmutenden Staatschef an der Spitze der Republik hat alle Modernisierungsversuche überlebt.

Wieso soll dies ausgerechnet mit Ségolène Royal anders laufen? Die einzige Vertrauensgarantie, die sie als Kandidatin ihren skeptischen Landsleuten anbieten kann, ist ihre Feminität. Das ist unzweifelhaft ein Unterschied zu ihren Vorgängern. Ob das reicht? Auch sie weiß, dass sich ihre Landsleute gern von radikalen Ideen faszinieren ließen. Um dann doch alles beim Alten zu lassen.