„Hätte ich irgendetwas merken müssen?“

BRUCH Eine Frau wird von ihrem Surflehrer zum Essen eingeladen – und vergewaltigt. Danach muss sie ganz neu lernen, zu vertrauen. Dies ist ihre Geschichte

■  Die Rechtslage: Vergewaltigungen werden mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren geahndet. Seit 1997 steht auch die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe.

■  Die Statistik: Im Jahr 2009 wurden der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge in Deutschland 7.314 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung angezeigt. Im Jahr 2008 waren es 7.292. Die Aufklärungsquote liegt seit einigen Jahren bei 80 Prozent.

■  Die Täter und die Opfer: Die Tatverdächtigen waren zu 99 Prozent männlich – die Opfer mit 96 Prozent fast immer weiblich. Junge Frauen zwischen 14 und 21 Jahren gelten als besonders gefährdet. Häufig kennen sich Täter und Opfer: Mehr als ein Viertel der angezeigten Fälle trugen sich 2009 in der Familie oder der Partnerschaft zu. Ein Drittel der Tatverdächtigen waren Bekannte der Opfer, ein Sechstel flüchtige Bekannte. Nur 16 Prozent erklärten, dass sie den Täter vorher nicht kannten.

■  Die Dunkelziffer: Da es sich bei Vergewaltigungen häufig um Beziehungstaten handelt, dürfte es deutlich mehr Fälle als Anzeigen geben. In einer Studie des Bundesfamilienministeriums von 2004 gaben 13 Prozent der befragten Frauen an, seit ihrem 16. Lebensjahr eine Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung erlebt zu haben. Nur fünf Prozent dieser Frauen zeigten die Tat auch an.

■  Der Fall Kachelmann: Zuletzt sorgten die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann für Aufsehen. Er soll seine 37 Jahre alte Freundin bedroht und vergewaltigt haben. Der Schweizer bestreitet das. Ein Urteil wird erst 2011 erwartet.

PROTOKOLL ANTJE LANG-LENDORFF

Im Sommer 2000 bin ich durch Südostasien* gereist. Ich war zwanzig Jahre alt und wollte was sehen von der Welt. Ich landete auf einer kleinen Insel, wo man surfen lernen konnte. Palmen am Strand, türkisgrünes Wasser. Es gab nur eine Hauptstraße, ein paar Bars, Restaurants und Hostels für die vielen Rucksacktouristen.

Zufällig war ich die Einzige, die an diesem Tag anreiste und einen Surfkurs beginnen wollte. Die anderen waren Fortgeschrittene. Einer der Surflehrer, ein Australier namens Ed, erklärte sich bereit, mich auch alleine zu unterrichten. Wir übten an seichteren Strandabschnitten als die übrigen Touristen. Ich traf mich öfter mit der Gruppe der Surflehrerinnen und -lehrer, abends zum Essen oder in der Bar. Ein offener, netter Kreis.

Ed war ein sympathischer Typ Mitte dreißig. Er hatte an ganz verschiedenen Orten der Welt gearbeitet. Wir verstanden uns gut, attraktiv fand ich ihn nicht. Er war einfach der Surflehrer.

Ed hatte mir gesagt, dass sich am Abend nach meinem Kursende ein paar Leute bei ihm zum Essen treffen würden. Er lebte in einer Wohngemeinschaft ein Stück vom Strand entfernt. Als ich ankam, war außer mir keiner da. Das hat mich nicht gewundert, ich war eine Viertelstunde zu früh. Mir fiel auf, dass Ed nichts zu essen vorbereitet hatte. Dass das seltsam war, wurde mir aber erst im Nachhinein klar.

Wir haben ein Glas Wein getrunken. Dann führte mich Ed durchs Haus. Auf der Insel wurde abends um zehn Uhr der Strom abgestellt, erst frühmorgens ging er wieder an. Man musste Besuchern zeigen, wo die Streichhölzer und die Kerzen liegen. Wir liefen durch die Wohnung. Seine zwei Mitbewohner waren nicht zu Hause. Ed begann ein bisschen zu flirten, das mochte ich nicht so gerne.

Als wir zu seinem Zimmer kamen, fing es an, komisch zu werden. Ed blieb in der Tür stehen, als ich hineinging. Das Bett befand sich direkt daneben. Man musste daran vorbei, wenn man zum Schreibtisch wollte. Da fragte mich Ed, ob ich auf ältere Männer stehe. Die Situation wurde unangenehm. Ich wollte das Zimmer verlassen und bewegte mich Richtung Tür. Normalerweise macht man dann Platz, aber Ed blieb einfach im Türrahmen stehen. Ein kurzes Stocken, ein Kräftemessen mit Blicken. Und dann hat er mir plötzlich eine gescheuert. Ich war so überrascht, dass ich rückwärtsstolperte und auf das Bett fiel.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich damals dachte: Ich bin in einem Film, das wird gerade irgendwo aufgezeichnet. Es war so irreal für mich.

Dann war er auch schon über mir. Ich habe mich versucht zu wehren, aber das ist kaum möglich, wenn so ein schwerer Typ auf dir drauf liegt. Es gibt nicht mehr viel, was du dann noch tun kannst. Er hat mein Kleid hochgezogen, die Schuhe sind irgendwie abgefallen. Er hat mir den Arm verdreht, ich habe mich versucht rauszuwinden. Ich wurde laut. Da hat er mich auf den Bauch umgedreht und den Kopf in ein Kissen gedrückt, sodass ich keine Luft mehr bekam. Das war mit am schlimmsten: dieses Gefühl, ich muss nicht nur meine Sexualität verteidigen, sondern mein Leben.

Ich habe um mein Leben gebettelt. Er ließ mich ein bisschen frei und wollte mit mir Sex haben. Ich habe ihn angefleht, dass ich nicht verhüte und dass ich doch kein Kind von ihm kriegen kann. Nicht so. Das hat ihn abgeturnt, sein Schwanz wurde weich.

Da ist er ausgerastet. Er war total wütend, hat meine Haare im Nacken gepackt und meinen Kopf wieder ins Kissen gedrückt. Er schlug nicht auf mich ein, aber er brachte mich in schmerzhafte Positionen, verrenkte mir die Arme. Weil er nicht mit mir schlafen konnte, hat er mir andere Sachen reingesteckt, eine Kerze.

Irgendwann ging das Licht aus. Das machte die Situation noch bedrohlicher. Wenn man nichts sieht, sind die anderen Sinne geschärft. Seinen Geruch werde ich nie vergessen. Er zündete eine Kerze an. Penetriert hat er mich schließlich anal.

Es war mir die ganze Zeit total wichtig, dass meine Unterhose wenigstens noch um die Knöchel schlackerte. Als ich gar nichts anderes mehr machen konnte, habe ich mich darauf konzentriert.

Er ist nicht in mir gekommen, sondern hat auf meinem Bauch abgespritzt. Sein Sperma tropfte nicht aus mir heraus. Das ist eine letzte Grenze, die ich mir bewahrt habe.

Nachdem Ed fertig war, wollte er mit mir dort einschlafen. Er sagte, dass wir ja am Morgen zusammen frühstücken könnten. Ich glaube, er meinte das wirklich ernst. Er hat mein Gesicht an seine verschwitzte Brust gedrückt und mir gedroht, mich umzubringen, wenn ich gehe. Bevor er einschlief, hat er die Kerze ausgepustet, die Streichhölzer über meinem Ohr geschüttelt und weggeschmissen.

Ich wartete, bis er fest schlief. Das kam mir ewig vor. Dann habe ich mich lautlos angezogen und bin rausgeschlichen.

Schon damals wusste ich, dass Ed mir etwas Schreckliches angetan hatte. Doch das Wort Vergewaltigung konnte ich erst Jahre später für mich annehmen.

Der Strom ging wieder, als ich nach Hause kam. Ich muss mich sechs Stunden bei Ed aufgehalten haben. Was ich von der Nacht abrufen kann, füllt diese Zeit bei Weitem nicht aus. Irgendwelche Teile sind einfach weg.

An das, was am nächsten Tag geschah, kann ich mich wieder lückenlos erinnern. Da sollte ich Ed noch einmal wiedersehen.

***

Das Schlimme an einer Vergewaltigung ist die Erfahrung, dass ein Mann seine körperliche Überlegenheit in dieser Form ausnutzt. Ich habe in der Nacht eine neue Welt betreten.

Ich bin groß geworden in dem Glauben, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Und ich weiß jetzt, dass das nicht so ist. Die körperliche Ungleichheit wird immer bleiben. Selbst wenn du als Frau noch so emanzipiert bist, Kampfsport treibst oder sonst was tust: Du wirst immer einem Mann begegnen können, der seine körperliche Stärke ausnutzt. Als Frau bist du darauf angewiesen, dass er seine Macht dir gegenüber nicht missbraucht.

Natürlich verbietet das Gesetz sexuelle Nötigung. Aber was hilft das, wenn ein Mann auf dir liegt? Wir Frauen sind nur so lange frei, wie wir die Freiheit geschenkt bekommen.

Frauen, die nicht vergewaltigt wurden, verschwenden kaum einen Gedanken daran, dass Männer stärker sind als sie. Sie leben ohne Angst. Das ist auch richtig so. Aber es ist ein Luxus. Es gibt genug Länder, wo die körperliche Überlegenheit die Hackordnung in der Ehe und in der Gesellschaft bestimmt, wo Frauen auch vor dem Gesetz nicht die gleichen Rechte haben wie Männer.

Bis zum ersten Schlag war ich felsenfest davon überzeugt: Mir kann nichts passieren. Ich kann nein sagen und gehen. Diese Gewissheit habe ich nicht mehr.

Die Wahrnehmung, zum schwächeren Geschlecht zu gehören, verändert ganz viel. In meiner ersten Beziehung nach der Vergewaltigung war an richtigen Sex gar nicht zu denken. Jeder Versuch endete damit, dass ich meinem Freund fast unterwürfig dankbar war, weil er mich zu nichts gezwungen hatte. Das war furchtbar für die Beziehung, sie ging nach drei Monaten in die Brüche.

„Ein kurzes Stocken, ein Kräftemessen mit Blicken. Und dann hat er mir plötzlich eine gescheuert“

Oder im Beruf. Wenn ich mit meinem Chef eine Diskussion habe, dann weiß ich zwar vom Kopf, dass er mir nichts tun wird, aber emotional ist das nicht gesichert. Dann bekomme ich Schweißausbrüche und schiele zur Tür, ob sich noch jemand im Büro aufhält. Das Gefühl, dass ein Mann körperlich mehr Macht hat als ich, hemmt mich. Das ist keine gute Grundlage, um überzeugend argumentieren zu können. Ich weiche eher als andere mal einen Schritt zurück.

Lange habe ich niemandem von der Vergewaltigung erzählt. Ich dachte: Erst wenn ich es ausspreche, wird es wahr. Es war ja an einem anderen Ort passiert, mit anderen Menschen. Es gab in meinem Alltag nichts, was mich daran erinnert hätte.

Das ging einige Monate gut. Bis ich vor meiner Haustür von einem Mann im Dunkeln betatscht wurde. Ich konnte mich ins Haus retten und ihn rausdrängen. Diesen Mann zeigte ich an. Bei der Polizei fragten sie mehrfach nach, ob er mich von irgendwoher kennen könnte. Die Täter wählen ihr Opfer in der Regel aus dem Umfeld gezielt aus, erklärten sie mir.

Hatte es wieder jemand bewusst auf mich abgesehen? Das Problem rückte mir plötzlich ganz nah. Ich bekam Panikanfälle, wenn ein Mann in der Uni hinter mir saß und ich seinen Atem hörte. Ich bin immer zu spät zur Vorlesung gekommen, um mich in die letzte Reihe setzen zu können, und früher gegangen, um nicht ins Gedränge zu geraten. Und das zum Studienbeginn, als ich eigentlich einen neuen Freundeskreis aufbauen wollte. Wenn ich auf die U-Bahn wartete, habe ich mich direkt an eine Plakatwand gestellt, damit niemand hinter mir vorbeigehen konnte.

Irgendwann kapitulierte ich vor mir selbst. Ich erkannte den Zusammenhang mit meinem Erlebnis in Asien an. Bis dahin wollte ich das, was passiert war, lieber rausdrängen aus meiner Biografie. Nun gestand ich mir ein, dass ich allein nicht klarkam. Ich musste irgendwie lernen, mit dieser Erfahrung umzugehen.

Ich wendete mich an den Frauennotruf, ein erster, guter Schritt. Bis ich die Kraft hatte, das Erlebte Stück für Stück in einer Therapie aufzuarbeiten, dauerte es aber noch mal zwei Jahre.

Es gab immer wieder diese Flashbacks, die mich aus der Fassung brachten. Beim Sex, aber auch in anderen Situationen. Das hat das Gefühl des Ausgeliefertseins noch einmal bestärkt. Ich dachte: Jetzt hat Ed auch im Nachhinein noch Macht über mich. Zu wissen, welche Momente mich retraumatisieren und wie ich sie vermeiden kann, daran habe ich lange gearbeitet.

In der Anfangszeit mit meinem jetzigen Mann hatten wir zum Beispiel mal einen Streit in der Küche. Ich saß, er stand im Türrahmen. Da ging bei mir gar nichts mehr. Zittern, Tränen und das Gefühl der totalen Ohnmacht. Wir haben später darüber gesprochen und verabredet, dass er sich immer hinsetzt, egal wie wütend er ist. Daran hat er sich gehalten. Inzwischen bin ich bei ihm ganz sicher, dass er nie etwas tun wird, was ich nicht will. Aber das hat gedauert.

Natürlich verändert eine Vergewaltigung auch die Sexualität. Danach überhaupt noch mal jemanden in den Körper einzulassen, ist ein großer Schritt. Schon eine Berührung am Hals oder das Wuscheln durch die Haare am Hinterkopf hat Panik ausgelöst. Mit vierundzwanzig Jahren, vier Jahre nach der Vergewaltigung, habe ich befürchtet, dass es für mich nicht mehr möglich sein würde, eine Familie zu gründen, überhaupt eine Beziehung zu führen. Es verging viel Zeit, bis ich das wieder konnte, bis ich es angstfrei konnte. Ich musste Sex richtig üben.

Mit meinem jetzigen Mann bin ich glücklich, der Sex mit ihm ist schön. Aber ich weiß auch: Sollten wir uns trennen, müsste ich mit einem neuen Partner wieder von vorne anfangen.

Die Angst vor Aids habe ich drei Jahre mit mir herumgeschleppt. Bis ich mich überwinden konnte, einen Test zu machen. Eine Frauenärztin besuchte ich erst vier Jahre nach der Vergewaltigung wieder. Diese Termine waren für mich noch bis vor Kurzem eine Tortur. Da werden ja auch Dinge in einen hineingesteckt.

Die Frage nach meiner Mitschuld war in der Therapie sehr wichtig. Warum hat mein Instinkt mich verlassen? Hätte ich irgendetwas merken müssen? Vielleicht war ich tatsächlich etwas naiv. Aber ich glaube, ich hatte auch ein Recht dazu. Ich war jung. Eine gewisse Naivität gehört zum Leben dazu. Frauen und Männer schenken jeden Tag anderen Menschen Vertrauen. Das ist etwas ganz Normales – und etwas sehr Schönes. Bis zu dem Moment, in dem es schiefgeht.

Auf der Straße habe ich heute nicht mehr Angst als früher, im Gegenteil. Der Fremde, der hinter dem Busch lauert, der existiert für mich nicht. Ich habe eine andere Gefahr kennengelernt, und die ist viel schwieriger zu bändigen.

Was mache ich mit dem Typen, der mich netterweise nach Hause bringen will? Und wie verhalte ich mich, wenn ich mit meinem Kollegen auf Dienstreise bin, sein Hotelzimmer neben meinem, er will abends noch einen Wein an der Hotelbar trinken. Kann ich da hingehen, kann ich es nicht? Das sind die Situationen, vor denen ich Angst habe. Und das verkompliziert das Leben manchmal ziemlich.

Direkt nach der Tat habe ich mir über eine Anzeige keinerlei Gedanken gemacht. Ich wollte einfach nur weg und vergessen. Später habe ich schon darüber nachgedacht, aber ich kam immer wieder zu dem Schluss: Ich würde einen Prozess nie durchstehen. Ich kann ja diese Geschichte gar nicht kohärent erzählen, mir fehlen Teile der Erinnerung. Es gab keine weiteren Zeugen, keine vom Arzt dokumentierten Wunden. Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten verteidigen will, könnte mich in der Luft zerreißen. Trotzdem habe ich lange ein schlechtes Gewissen mit mir herumgetragen. Ich weiß, dass ich durch mein Schweigen auch die Schuld auf mich geladen habe, andere Frauen nicht zu schützen.

Der Wunsch, das Unrecht wiedergutzumachen, ist ganz stark in jedem Menschen verankert. Ich finde es auch gut, wenn Frauen anzeigen und Täter verurteilt werden. Aber an dem Heilungsprozess, den die Frau durchlaufen muss, ändert eine Strafe für den Mann meiner Meinung nach nichts. Selbst wenn ich Ed hinter Gitter bringen könnte, würde mir das nie das zurückgeben, was er mir genommen hat. Für das einzelne Opfer zählt doch erst mal etwas anderes, nämlich auf die Beine zu kommen und das Leben wieder in den Griff zu kriegen.

Es herrscht wenig Verständnis für Frauen wie mich, die nicht anzeigen. Ich habe das Gefühl, dass ich da eine Verantwortung mehr aufgebürdet bekomme. Erst bin ich unschuldig Opfer geworden. Und dann soll ich auch noch dafür sorgen, dass die Gesellschaft ruhig schlafen kann.

■  Die Frauennotrufe: Hilfsangebote für Opfer sexueller Gewalt gibt es in allen Bundesländern. Ansprechpartner vor Ort findet man auf der Internetseite des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe: www.frauen-gegen-gewalt.de

■  Der Weiße Ring: Auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring kümmert sich um Betroffene. Die Mitarbeiter sind bundesweit unter der kostenfreien Telefonnummer 11 60 06 zu erreichen. Weitere Infos im Internet: www.weisser-ring.de

Ich könnte nicht ertragen, wenn nach dem, was mir passiert ist, meine Glaubwürdigkeit angezweifelt würde. Man sieht das zurzeit bei den Vorwürfen gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann. Das mutmaßliche Opfer wird an einem Tag als schwach, als abhängig dargestellt. Dann wiederum wird behauptet, es sei ein kalkulierendes Luder. Wie schrecklich muss so ein Prozess sein?

Grundsätzlich finde ich es richtig, dass die Richter im Zweifel für den Angeklagten entscheiden müssen. Sicher gibt es auch Männer, die angezeigt werden, obwohl sie unschuldig sind. Bei Vergewaltigungen führt das aber zu oft zu einem Freispruch, weil Aussage gegen Aussage steht. Das macht es vergewaltigten Frauen nicht gerade leichter, sich für eine Anzeige zu entscheiden. Wenn Kachelmann am Ende nicht verurteilt werden sollte, dann wird in den Köpfen vieler Menschen hängen bleiben, dass die Frau gelogen hat. Selbst wenn der Freispruch nur aus Mangel an Beweisen erfolgt sein sollte. Die Zahl derer, die zur Polizei gehen, wird dann sicherlich erst mal sinken.

Es schockiert mich immer wieder, wie über Vergewaltigungen gesprochen wird. Jeder meint, über Kachelmann Bescheid zu wissen. Dabei war niemand von uns dabei, wir können uns kein Urteil erlauben. Eine Bekannte sagte, es gebe eben Frauen, die eine „Opfermentalität“ in sich tragen. Nach dem Motto: Die Mäuschen müssen sich nicht wundern, wenn ihnen etwas zustößt. Menschen entwickeln diese Kategorien, um sich selbst auf der sicheren Seite zu wähnen. Dass das ein Schlag ins Gesicht anderer Vergewaltigungsopfer ist, daran denken sie gar nicht.

Ich habe den Eindruck, dass die Gesellschaft nur solche Vergewaltigungen anerkennt, bei denen die Fronten klar sind, bei denen es einen fremden Bösewicht und ein unbescholtenes Opfer gibt. Kommen kompliziertere Verhältnisse ins Spiel, was meist der Fall ist, wird dem Opfer all zu schnell eine Mitschuld unterstellt. Die Leute sind dann gerne bereit, gerade sympathische Täter in Schutz zu nehmen. Mein Vergewaltiger war auch ein netter, intelligenter Mensch. Dass so ein Mann solch eine Tat begeht, wollen viele nicht glauben. Denn das hieße ja in der Konsequenz, dass jeder ein Täter sein könnte. Dann müssten sie mit der Angst vor dem Unberechenbaren leben. Wie ich.

***

Ich habe Ed am Tag nach der Vergewaltigung noch einmal wiedergesehen. Eigentlich wollte ich die Insel verlassen, aber es fuhr keine Fähre. Ich musste warten, das war fürchterlich.

Am Abend bin ich in eine Strandbar gegangen. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, im Zimmer zu hocken. Ich war mir sicher, dass Ed nicht dort sein würde. Aber ich täuschte mich. Er kam zu mir und sagte tatsächlich, er habe es schade gefunden, dass ich nicht zum Frühstück geblieben sei. Dann sagte er, dass ich ja nachher wieder mit zu ihm kommen würde. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Angst hatte ich keine mehr. Der Bann war gebrochen. Ich dachte: Jetzt kann eigentlich nichts Schlimmeres mehr passieren. Er kann sich meinen Körper noch einmal nehmen. Meine Seele, die wird er nicht kriegen. Das habe ich ihm gesagt.

Da hat er sich total aufgeregt, hat mich als Schlampe beschimpft. Ich glaube, er wurde so wütend, weil er verstanden hat, dass er mich nicht ganz besitzen kann. Ich war noch ich. Dass meine Klarheit ihn in diesem Moment so hilflos gemacht hat, das war ein gutes Gefühl. Ein kleiner Triumph.

* Region, Name, Nationalität und Beruf des Täters geändert

Antje Lang-Lendorff, 32, ist taz-Redakteurin im Berlin-Teil