Mit Herz und Seele gespielt

Werder Bremen verschenkt beim mitreißenden 2:2 in Aachen die Tabellenführung, lässt sich die Trauer über die verschenkten Punkte aber nicht öffentlich anmerken. Torsten Frings spricht gar von „Supermoral“

Spätestens seit Erfindung der Dreipunkteregel gehört es bei einem Unentschieden zu den Reflexen aller Fußballverantwortlichen, den Verlust von zwei Zählern mehr zu beklagen als den Gewinn des einen Trostpunktes. Am Sonnabend, nach dem mitreißenden 2:2 zwischen Aachen und Bremen, hätten beide Teams genügend Gründe gehabt, über verschenkte Punkte zu trauern. Was sie intern sicher auch taten. Nach außen aber zeigten sich alle auf geradezu vorweihnachtliche Weise glücklich gestimmt und milde.

Besonders bei der Alemannia, die den mauen Titelaspiranten in den ersten 45 Minuten hätte überrennen können, statt nur 1:0 zu führen (Rösler 33.), überraschte das sehr. Michael Frontzeck bezeichnete sich wegen der „besten ersten Halbzeit, seit ich hier Trainer bin“ als „außerordentlich zufrieden“. Werders Coach Thomas Schaaf wiederum betonte, Aachen habe „mit Herz und Seele gespielt“.

Das hätte über Werder niemand behauptet. Bei den Bremern imponierte höchstens die Bockigkeit, mit der sich das Team nach zweimaligem Rückstand zurückmeldete und durch Mertesacker (47.) und Klose (79.) die Aachener Führung jedes Mal wieder neutralisierte. Da durfte man dann schon mal ein bisschen übertreiben wie Torsten Frings: „Wir haben eine Supermoral bewiesen.“

Ehrlicher war später Manager Klaus Allofs im Hintergrundgespräch: „Wenn man Meister werden will, dann fehlen einem am Ende vielleicht solche Punkte gegen die kleineren Gegner. Wir hätten erst gar nicht zulassen dürfen, dass Aachen im Rahmen seiner Möglichkeiten so gut spielt.“

Es war ein Spiel mit vielen Hauptdarstellern. Der Titelaspirant, der mit dem Remis die Tabellenführung abgab, hatte der Mithilfe von Schiedsrichter Markus Merk bedurft. Merk hatte ein dreistes Foul von Miroslav Klose vor seinem Ausgleichstor übersehen und auch Naldos klares Strafraumfoul an Aachens Wirbelwind Jan Schlaudraff kurz vor der Pause nicht geahndet. Sicher, im Gegenzug pfiff er einen ebenso klaren Sichone-Schubser gegen Borowski auch nicht, aber diese Szene hätte es bei einem Elfmeterpfiff für Aachen gar nicht erst gegeben.

Ein anderer Hauptdarsteller war Torsten Frings. Bremens Mittelfeldtraber („Ich bin ein Aachener Junge“) lief erstmals nach zehn Jahren „endlich mal wieder auf dem Tivoli“ auf, dem Heimatstadion seiner Jugend, wo er mit prasselndem Beifall empfangen worden war. Nachher war er so mundfaul, wie er im Spiel lauffaul gewesen war. „Du kannst nicht immer Zauberfußball erwarten“, sagte er später kühl und fand: „Die Belastung ist einfach zu hoch geworden.“ Es war Frings 25. Pflichtspiel seit der WM.

Gern wäre er noch einen Abend in Aachen geblieben, bei der Familie, mit Freunden. „Geht nicht. Wir spielen ja Mittwoch schon wieder.“ Gegen Chelsea, in der Champions League. „Da gehen die Uhren anders“, machte sich Klaus Allofs Mut.

Der größte Hauptdarsteller für einen Moment war indes Jan Schlaudraff mit seinem wundervollen Schlenzer nach einem frechen Solotanz zum 2:1 – ein Kandidat für das Tor des Jahres. „So was gelingt einem nur einmal im Leben“, merkte Bremens düpierter Tim Wiese noch an, „und wenn es Absicht war, muss er bald bei Real Madrid oder in Barcelona spielen“. Es war Absicht.

Ein Kommentar zu dem Traum-Treffer vom in Aachen anwesenden Chelsea-Spion Walsh ist übrigens nicht überliefert. Nicht, dass auf dem Tivoli bald ganz ernsthaft noch ein Interessent mehr für den umworbenen Sausewind auftaucht und in London Didier Drogba und Andrej Schewtschenko um ihre Stammplätze zittern müssen.

Bernd Müllender