Satans jüngste Tochter singt jetzt Gospel

Eigentlich war man gekommen, um vergewaltigt zu werden: Diamanda Galas spielte am Samstagabend in der Passionskirche, und obwohl man sich vorkam wie in einem Film von Dario Argento, war man am Ende enttäuscht

Auf dem Konzertplakat, das draußen vor der Passionskirche hing, sah Diamanda Galas immer noch so aus wie eine weibliche Version von Blixa Bargeld Anfang 1980, als dessen ausgermergelte Physiognomie noch an Max Schreck in Murnaus „Nosferatu“ erinnerte. Ganz so ein Gespenst aus Haut, Knochen und keinem Gramm Fett ist die in den USA, in San Diego, als Kind griechischer Migranten geborene Diva des Schreigesangs nicht mehr. Unheimlich wirkt sie freilich immer noch – wozu am Samstagabend, als sie in der Passionskirche spielte, die Beleuchtung entscheidend beitrug.

Der Raum versank im Dunkeln, nur der Holzjesus an der Wand wurde permanent illuminiert. Die Sängerin saß dazu in ihrem bizarren schwarzen Fledermauskostüm starr an ihrem Flügel und zeigte dem Publikum dabei ausschließlich ihr Profil. Ein wenig kam man sich während dieser eigenwilligen Inszenierung zwischen Messe, schwarzem Ritual und Lichtspiel vor wie in einem Film von Dario Argento.

Diamanda Galas, das muss man wissen, ist von all den Extremkünstlern, die einem von Performance-Art bis Industrial-Kultur so einfallen, eine der extremsten. Elemente des Sadomasochismus, des Okkultismus, des Aids-Aktivismus und der Bodyart spielen bei ihr genauso gleichberechtigt eine Rolle, wie sie in ihrer Musik Neutöner-Avantgarde, Blues, Gospel und wenn es sein muss auch Rock’n‘’Roll in eine faszinierend schwer verdauliche Mischung überführt. Zusammengearbeitet hat sie schon mit dem Komponisten Iannis Xenakis wie mit dem ehemaligen Bassisten von Led Zeppelin, John Paul Jones. Francis Ford Coppola überließ sie ihre schrille Stimme für den Soundtrack zu dessen Verfilmung von „Dracula“. Überhaupt: die Stimme! Über allem thront natürlich dieses effektvolle Kreischen und Jammern, das Glas zum Zerspringen bringt.

Wobei, so schien es zumindest in der Passionskirche, Diamanda Galas die extremsten Phasen ihrer Karriere hinter sich gebracht hat. Die Zeiten, in denen sie sich auf der Bühne mit Blut besudelte und aussah wie Carrie in der infernalischen Schweineblutszene des gleichnamigen Films, scheinen vorüber. Die Sängerin unterzieht sich nicht mehr einem seltsamen Exorzismus, sie legt inzwischen auch weniger Wert auf reine Stimmakrobatik, sondern sie konzentriert sich vielmehr darauf, klassische Gospelnummern und Liedgut aus aller Welt mit tiefem Gesang und simpler Klavierbegleitung vorzutragen.

Ein wenig vermisste man bei ihrem Konzert dann die Raserei vergangener Tage. Man war gekommen, um vergewaltigt zu werden, stattdessen saß man andächtig lauschend auf Kirchenbänken. Das Interessanteste an ihrem Auftritt war, wie sie sich unter den wechselnden Lichtverhältnissen andauernd veränderte und in immer wieder neue Rollen schlüpfte. Wie sie manchmal wirkte wie ein junges Mädchen, dann doch wieder wie eine ältere Frau, mal wie ein Vampir oder eine Hexengestalt, dann wieder wie eine klassische Stummfilm-Diva. Und doch war das Konzert – wo es doch schon in einer Kirche stattfand – einfach zu wenig Messe. Es erzeugte nicht die erwartete Gänsehaut, und die Effekte, die irgendjemand am Mischpult immer wieder über den Gesang legte, klangen teilweise einfach nur plump und bieder. Dieses Abdriften in die düsteren Abgründe der Seele und das Schwarzkittelhafte des Auftritts kamen schlichtweg ein wenig zu achtzigerjahremäßig.

Kunst, die verstören und weh tun möchte: Irgendwie will man das heute eben nicht mehr so recht haben. Und auch wenn man sich nochmals die alten Platten von Diamanda Galas aus den Achtzigern und Neunzigern anhört, muss man feststellen: Etwas gestrig klingt das alles ja schon. ANDREAS HARTMANN