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: Im Land der Fänger

Weidenfeller und Wiese werden eine Nominierung für die Nationalelf wohl erst im nächsten Torwartleben erhalten

Torhüter, das sind triste Figuren, sagt der brasilianische Volksmund: Wo sie stehen, da wächst kein Gras mehr. Torhüter, das sind die Sündenböcke, selbst dann, wenn ihnen kein Vorwurf zu machen ist. Gern tauschen Trainer den Keeper dann aus, wenn ihnen nichts mehr einfällt. Von der Degradierung der Nummer eins, sei sie fehlerfrei oder nicht, versprechen sie sich wundersame Effekte, zumindest aber eine Demonstration der eigenen Stärke.

Vor zwei Wochen traf es den Schalker Frank Rost, einen Mann von internationalem Format, der das englische Tor womöglich bis zum Rentenalter hüten würde. Sein Coach Mirko Slomka, eine der bizarrsten Figuren auf deutschen Trainerbänken, tauschte ihn mit der originellen Begründung, ihm fehle das „Glück, auch mal einen unhaltbaren Ball“ zu halten, gegen die Nachwuchskraft Neuer aus. Seitdem irrlichtert Neuer durch den Schalker Strafraum und lässt den einen oder anderen haltbaren Ball passieren, nur Punkte, die hat er die Schalker noch nicht gekostet, weswegen Slomkas Maßnahme noch nicht als kompletter Unfug aufgeflogen ist.

Gegenwärtig reiht sich in Deutschland, dem Land der traditionell weltbesten Fänger, eine Torwart-Posse an die nächste. Da ist auch die Diskussion um den Stuttgarter Timo Hildebrand, der zwar die Nummer eins im deutschen Tor in der Zeit nach dem unumstrittenen Lehmann werden will, zuletzt in der EM-Qualifikation auf Zypern aber einen nicht ganz unhaltbaren Ball passieren ließ. Jetzt reibt man ihm die Namen Roman Weidenfeller (Borussia Dortmund), Tim Wiese (Werder Bremen) und Robert Enke (Hannover 96) unter die Nase – Torwächter, von denen bloß ein einziger (Enke) als komplett gelten darf. Dass Namen wie Weidenfeller und Wiese in deutschen Blättern allen Ernstes diskutiert werden, illustriert deutlich, dass sich kaum Gedanken ums Torwartspiel gemacht werden. Nur zur Erinnerung: Klinsmann tauschte den weltberühmten Keeper Kahn gegen den in Deutschland weltberühmten Jens Lehmann aus – mit der Begründung, der passe besser zur „Philosophie“. Lehmann kann Fußball spielen und wagt sich bis an die Grenze des Strafraumes, um zu klären. Hildebrand ist ein Wiedergänger Lehmanns im Kleinen. So gut wie Lehmann am Ball, doch im Kerngeschäft Bällehalten ist er längst nicht so gut wie der Mann von Arsenal. Wiese und Weidenfeller mögen Hildebrand auf der Linie ebenbürtig sein – geht es jedoch darum, Angriffe zu antizipieren, wirken sie wie Vertreter aus dem Antiquariat des Fußballs. Heißt der Bundestrainer auch in zwei Jahren noch Joachim Löw, dürften sie eine Nominierung für die Nationalelf wohl erst im nächsten Torwartleben erhalten.

STEFAN OSTERHAUS