Die Grünen preisen den Wettbewerb

Erstmals veranstalteten die Grünen einen Wirtschaftskongress mit hochrangiger Unternehmerpräsenz. Parteilinke wollen bei „Ode an die Marktwirtschaft“ nicht mitsingen. Fraktionschef Kuhn beruhigt die Kritiker: Auch er sei für einen „starken Staat“

VON HANNES KOCH

Nicht einmal das Weiße Haus in Washington will auf Günther Cramers Produkte verzichten. Unweit des Oval Office von US-Präsident George Bush sind die Wechselrichter eingebaut – elfenbeinfarbene Kästen, die den Gleichstrom von Solarzellen in Wechselstrom für Lampen, Computer und Klimaanlagen verwandeln.

Hergestellt werden die Anlagen von der Firma SMA in Kassel. Günther Cramer ist einer ihrer Vorstände. Ihm geht es blendend. „Wir sind Weltmarktführer“, sagt Cramer, „über 50 Prozent aller Wechselrichter kommen von uns.“ SMA ist eine richtig schöne Firma. Sie wächst, schafft Arbeitsplätze in Deutschland, stellt ökologisch sinnvolle Produkte her und behandelt, zu allem Überfluss, ihre Beschäftigten gut. In den Arbeitsverträgen der 1.200 Mitarbeiter steht, dass 16 Prozent des Gewinns alljährlich an die Beschäftigten ausgezahlt werden – zusätzlich zum Tariflohn.

So wie SMA stellen sich viele Grüne die gesamte Wirtschaft vor. Deshalb hatte die Partei Günther Cramer am vergangenen Samstag als Redner zu ihrem Kongress „Mehrwert – Grüne Marktwirtschaft“ nach Berlin eingeladen. Es war der erste grüne Wirtschaftskongress dieser Art überhaupt. Zwei Dutzend Vorstandsvorsitzende und Manager hielten Vorträge, von der Deutschen Börse über Arcor, IBM, BASF bis zu BP.

Die Auftakt-Rede bestritt Tadashi Arashima, Europa-Chef des japanischen Autokonzerns Toyota. Er empfahl den Grünen, sie sollten stärker für einen ökologischen Rahmen der Marktwirtschaft eintreten, etwa für strenge Begrenzungen des Schadstoffaustoßes von Kraftfahrzeugen. Auch die Kernforderung der meisten anderen Unternehmer, stellvertretend formuliert von Christoph Helle (MVV Energie AG), hörte die Parteispitze gerne: „Mehr Wettbewerb“.

Gemessen an der gepflegten Kommunikation sind die Grünen nun eine wirtschaftsfreundliche Partei. Auf diese Botschaft kommt es Fritz Kuhn, dem Chef der Bundestagsfraktion, ganz besonders an. Ausgesandt in die Reihen der Wirtschaftselite, kann sie größeren Rückhalt bedeuten für eine künftige Regierungsbildung unter Beteiligung der Grünen. Und in der Bevölkerung verbreitet, soll sie zu einer langsamen Ausdehnung der grünen Wählerschaft auf Kosten von Union und FDP führen.

Um die Grünen als Partei eines modernen Mittelstandes zu positionieren, haben neun grüne Bundestagsabgeordnete eigens den Entwurf eines neuen Wirtschaftsprogramm verfasst. Darin preisen die Verfasser, unter anderem Fritz Kuhn, Matthias Berninger, Thea Dückert, Christine Scheel und Gerhard Schick die „Kreativität eines dynamischen verantwortlichen Unternehmertums“. Deutschland „braucht mehr selbstbestimmte UnternehmerInnen“, heißt es, die „auf funktionierenden Märkten mit hoher Wettbewerbsintensität“ agieren.

Eine realistische Betrachtung der Marktwirtschaft hat sich bei den Grünen spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre eingestellt. Neu allerdings erscheint die im Papier enthaltene Fokussierung auf den Wettbewerb. Eine „Ode an die Marktwirtschaft“ nennt Winfried Hermann, der linksorientierte Verkehrssprecher seiner Partei, den Entwurf. Den Markt „als das zentrale Instrument grüner Wirtschaftspolitik“ zu bezeichnen, sei „zu einseitig“.

Fraktionschef Kuhn verwahrt sich gegen den Vorwurf zu großer Wirtschaftsnähe. „Für uns ist der Markt kein Fetisch“, sagt er, „ganz im Gegenteil: Wir wollen einen starken Staat, der verlässliche Rahmenbedingungen setzt.“ Ein wirklicher Wettbewerb ohne mächtige Monopole einerseits, Umweltschutz und Gerechtigkeit andererseits – für Kuhn stehen diese Ziele nicht im Widerspruch: „Wenn der Rahmen richtig gesetzt ist, kann der Markt intelligente Lösungen suchen.“ Unter „Rahmenbedingungen“ versteht der Fraktionschef sowohl ökologische Leitplanken, etwa Treibstoffgrenzwerte für Kraftfahrzeuge, als auch soziale Maßnahmen – beispielsweise eine wirksame Förderung von Arbeitslosen, die diesen auch tatsächlich zu neuen Jobs verhilft.

Das Schöne an der Debatte: Sie bewegt sich im Symbolisch-Abstrakten. Auf konkrete Beispiele wie die Wechselrichter-Firma SMA können sich beide Seiten immer einigen. Solange SMA wächst, lässt sich das Unternehmen als Beleg heranziehen für die Segnungen eines „wettbewerbsintensiven Marktes“. Aber auch für den Nutzen staatlicher Regulierung: Ohne die Strompreisförderung in Deutschland hätten die Produkte des Unternehmens niemals eine so große Nachfrage gefunden.

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