Der Menschenschild

Hunderte Demonstranten und Nachbarn schützen das ins israelische Visier geratene Haus eines Palästinensers

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Israels Armee wird vorsichtiger. Unter dem Eindruck der erklärtermaßen „versehentlichen“ Bombardierung eines palästinensischen Wohnhauses vor knapp zwei Wochen drehten die Piloten am letzten Sonntag wieder ab und verzichteten auf den geplanten Angriff. Ins Visier geraten war das Haus von Mohammed Baroud, Kommandant des palästinensischen Volkswiderstandskomitees. Hunderte Palästinenser hatten sich vor dem Haus Barouds im Flüchtlingslager Jabalia im nördlichen Gaza-Streifen versammelt, um als menschliche Schutzschilde den Angriff zu verhindern.

Die israelischen Soldaten hatten Baroud zum Verlassen seines Hauses aufgefordert. Stattdessen aber rannte der Mann zu einer Moschee und bat seine Nachbarn um Hilfe. Innerhalb weniger Minuten hatten sich hunderte Menschen um das Haus gestellt. Um keine Unschuldigen zu verletzen, ließen die Piloten von der geplanten Zerstörung des Hauses ab.

Nachdem in der vorvergangenen Woche 19 unschuldige Menschen, darunter zahlreiche Kinder, bei einem nächtlichen Artillerieangriff auf Beit Hanoun im nördlichen Gaza-Streifen starben, war im In- und Ausland scharfe Kritik gegen Israel lautgeworden. Erst am vergangenen Freitag hatte die UN-Generalversammlung eine Resolution verabschiedet, die zur Ernennung einer Untersuchungskommission aufruft, um die Hintergründe der offiziell auf technische Mängel zurückzuführenden Bombardierung zu ergründen.

Israels Premierminister Ehud Olmert stellte sich im Verlauf der sonntäglichen Regierungssitzung hinter die israelischen Sicherheitsdienste. Verantwortlich für den Tod unschuldiger Zivilisten „sind die, die die systematische Politik verfolgen, unschuldigen Bürgern Israels zu schaden, indem sie Raketen abschießen“, so der israelische Premierminister. Aus New York verlautete ferner der Vorschlag, ähnlich wie im Libanon internationale Truppen zu stationieren, was in Jerusalem kontrovers diskutiert wird.

Die israelische Armee verliert seit Monaten auch innerhalb Israels an öffentlichem Vertrauen. So war der Mangel an strategischen Zielen, an Organisation und Entscheidungsbereitschaft mit Grund dafür, dass Israel im vergangenen Sommer den Krieg im Libanon verloren hat. Seither mussten mehrere Kommandanten den Dienst quittieren. Der Stabschef selbst wird vermutlich in den kommenden zwei Wochen seine Uniform an den Nagel hängen.

Die Entwicklungen im Gaza-Streifen werfen einen weiteren Schatten auf die Armeeführung. Sogar der als eher konservativ geltende Umweltminister Gideon Esra (Kadima) sprach von einem „Massaker“ in Beit Hanoun und appellierte an die Regierung, für die Dauer von zehn Tagen einen sofortigen einseitigen Waffenstillstand im Gaza-Streifen auszurufen. „Wir sollten uns an die schweigende Mehrheit in Gaza wenden, die nicht weniger leidet als andere“, forderte Esra. Damit solle den Palästinensern und der internationalen Öffentlichkeit ein Signal gegeben werden. Sollten allerdings umgekehrt die Palästinenser in der fraglichen Zeit den Raketenbeschuss fortsetzen, dann „hätte der Staat Israel die Legitimation mit deutlich härteren Maßnahmen vorzugehen als bisher“. Die Feuerpause, so Esra, gelte einer Stärkung des moderaten palästinensischen Lagers.

Verteidigungsminister Amir Peretz plant offenbar genau das Gegenteil. Die liberale israelische Tageszeitung Ha’aretz berichtete am Sonntag unter Berufung auf die Londoner Sunday Times von der geplanten Hinrichtung der politischen Hamas-Führung. Peretz stand, Hörfunkberichten zufolge, am Wochenende noch stark unter dem Eindruck eines palästinensischen Raketenangriffs auf Sderot, bei dem einer seiner Leibwächter schwer verletzt wurde. Beim Anblick des frisch amputierten Mannes soll Peretz in Tränen ausgebrochen sein.