Der vergiftete russische Überläufer

Er hätte wohl lieber in einem anderen Thriller mitgespielt: Alexander Litvinenko, ehemals hochrangiger Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB und seit einem Monat britischer Staatsbürger. Derzeit befindet sich der 45-Jährige in einem Londoner Krankenhaus. Freunde sagten nach einem Besuch, Litvinenko kämpfe um sein Leben, er habe alle Haare verloren und könne kaum sprechen. Nach Angaben der Ärzte deutet alles auf eine Vergiftung mit dem Schwermetall Thallium hin.

Litvinenko wurde am 1. November ins Krankenhaus eingeliefert. Wenige Stunden zuvor will er sich mit einem italienischen Informanten namens Mario Scaramella in einem Restaurant am Piccadilly getroffen haben. Besagter Scaramella, der gute Beziehungen zum FSB unterhalten soll, habe ihm vier Bögen mit Namen von Personen übergeben, die in den Mord an der russischen regimekritischen Journalistin Anna Politkowskaja verwickelt sein sollen.

Ob es sich, falls die Geschichte stimmt, um eine Warnung gehandelt hat oder das Gift versehentlich zu niedrig dosiert war: Gründe für den FSB, Litvinenko aus dem Weg zu räumen, gibt es allemal. Nach einer Blitzkarriere in der Armee beginnt Litvinenko ab 1988 für den damaligen sowjetischen KGB zu arbeiten und ist in den folgenden Jahren in unterschiedlichen Abteilungen wie Antiterrorkampf und organisiertes Verbrechen tätig.

Irgendwann in dieser Zeit muss sich Litvinenko entschieden haben, die Seiten zu wechseln. Im November 1998 ist es so weit. Er kritisiert bei einer Pressekonferenz die Führungsspitze des FSB. Unter anderem behauptet Litvinenko, den Auftrag erhalten zu haben, den Medientycoon Boris Beresowski umzubringen.

Nach seiner Entlassung aus dem FSB wird Litvinenko in der Folgezeit mehrmals angeklagt und inhaftiert – unter anderem wegen „gewalttätiger Methoden bei Verhören“. 2000 gelingt ihm auf abenteuerlichem Weg die Flucht nach Großbritannien, wo er mit Frau und Sohn 2001 politisches Asyl erhält.

Im gleichen Jahr erscheint sein Buch „Der FSB sprengt Russland in die Luft“. Darin vertritt Litvinenko die These, dass der russische Geheimdienst für Anschläge in Moskau und anderen Städten verantwortlich war, bei denen 1999 mehrere hundert Menschen starben.

2002 wird Litvinenko von einem russischen Gericht in Abwesenheit wegen Amtsmissbrauchs und Munitionsdiebstahls zu einer dreieinhalbjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. „Ich bin vor allem ein Patriot“, sagte Litvinenko einmal dem Guardian. Er hoffe, irgendwann in seine Heimat zurückkehren zu können. Im Moment bleibt er sicher lieber in Großbritannien. BARBARA OERTEL