Der große Wurf

Die Geschichte eines steinigen Weges: Wie die Hamburger Band „Beckenrand“ versucht, ihre Musik auf eigene Faust bekannt zu machen – ohne die Unterstützung einer großen Plattenfirma, dafür mit neuen Ideen zu Vertriebswegen und Preispolitik

„Es gab keine Plattenfirma, die sich auf alternde, arbeitslose Handwerker einlassen wollte“

VON KLAUS IRLER

Es war ein verregneter Sonntag Ende Oktober, und die Polizei wartete schon, als der umgebaute Fischwagen ins Hamburger Schanzenviertel einbog. In dem Fischwagen war die Band „Beckenrand“ mit aufgebauten Instrumenten. Ihr Plan: Fischwagen vor der Roten Flora parken, Klappe auf und mit Hilfe des mitgebrachten Stromaggregats ein Spontankonzert spielen. „So lange, bis die Polizei kommt“, hatte die Band zuvor in der taz angekündigt.

Bei der Hamburger Polizei hat die Ankündigung offenbar einen gewissen Ehrgeiz freigesetzt: Die Polizisten warteten mit zwei Streifenwagen. Sie verboten das Konzert gänzlich, und bei der Heimfahrt „wurde der Fischwagen von einem Streifenwagen eskortiert“, erzählt Till Wulf, der die Öffentlichkeitsarbeit für Beckenrand macht.

Klar, denkt man sich, ohne Vorab-Information in der Zeitung wär’s vielleicht besser gelaufen. Aber so einfach ist das nicht. Denn Beckenrand ist eine Band, die wie Hunderte andere Bands vor der Aufgabe steht, auf sich aufmerksam machen zu müssen. Eine Band, die weiß, dass ihr der herkömmliche Weg über die großen Plattenfirmen verwehrt ist, und die trotzdem der Meinung ist, dass ihre Musik ein größeres Publikum finden könnte, als sich beim Clubkonzert erreichen lässt.

Was im Fall von Beckenrand einleuchtet: Die Band startete als Trio mit Bass, Gitarre und Schlagzeug, macht poppigen Rock mit leicht schrägen deutschen Texten, in denen beispielsweise der GEZ-Mann kraft seines Jobs der unglücklichste Mann der Welt ist. Es sind flockige Songs mit Ohrwurmqualitäten – Musik, die nicht weit weg ist von dem, was im Radio läuft. Aber Beckenrand-Sänger Winni Nühl ist 39. Und Schlagzeuger Beatmaster Dude ist kleinwüchsig und seine Arme sind seit seiner Geburt unterwickelt. In ein Geschäft, in dem Bands mit medienkompatiblen Gesichtern gefragt sind, passt Beckenrand nicht. Kurzum: „Es gab keine Plattenfirma, die sich auf alternde, arbeitslose Handwerker einlassen wollte“, sagt Nühl. Traurig wirkt er dabei nicht.

Im Jahr 2005 aber kam das Festival Tunneltöne, bei dem Beckenrand im Altonaer Bahnhof auftraten, im öffentlichen Raum. Nühl merkte, dass die Musik ankommt, er verkaufte vor Ort CDs und dachte sich: Man darf nicht warten, bis die Leute in ein Konzert gehen. Man muss versuchen, die Musik zu den Leuten zu bringen. Die Frage ist nur: Wie geht das ohne Marketing-Etat und ohne die Vertriebsstruktur einer großen Plattenfirma?

Nühl hatte eine Idee, und die wollte der studierte Geologe und ehemalige Klärwärter im großen Stil umsetzen. Es sollte ein großer Wurf werden, ein Vollzeitjob, und zwar nicht nur für eine Person. Nühl nahm einen Kredit auf und gründete Ende letzten Jahres die Plattenfirma „Kurbad St. Pauli“ mit Sitz in Hamburg-Eimsbüttel. Außerdem entwickelte er die so genannten Startblöcke: Das sind Behälter für 15 CDs, gebaut aus himmelblauen Schwimmbad-Kacheln. Die sollten, so der Plan, deutschlandweit in Kneipen, Bars, bei Frisören und in Klamottenläden stehen. Dabei sollen die CDs so billig angeboten werden, dass die Leute auch aus Neugier zugreifen.

Es sollte eine „Promo-Aktion sein, die sich selbst finanziert“, sagt Nühl. Als erste Veröffentlichung des Labels im Mai 2005 bot man aber nicht eine Beckenrand-CD an, sondern den Sampler „Nackt vom Fünfer“ – sechs Hamburger Bands für 4,99 Euro. „Die Hoffnung war, dass sich ein Sampler besser verkauft, als eine CD mit nur einer Band drauf“, sagt Nühl. Zusammen mit den Mitstreitern bastelte er über 1.200 Startblöcke und setzte darauf, dass er „die Geheimwaffe“ bundesweit in 50 Städten aufgestellt kriegen würde durch Free-Card-Firmen – das sind jene Unternehmen, die Kartenständer in Kneipen mit kostenlosen Postkarten bestücken.

Geklappt hat das aber erstmal nicht – auch das Freecard-Geschäft hat seine Gesetze, die erstmal kennengelernt werden wollen. Also zogen Nühl und seine Mitstreiter selbst los und stellten 60 Startblöcke auf: 40 in Hamburg, jeweils zehn in Bremen und Kiel. Rund 3.000 Exemplare der „Nackt vom Fünfer“-CD hat das Label bislang verkauft. Das aber ist nur ein kleiner Teil der Auflage. Nühl sagt: „Letztlich haben wir uns da überschätzt.“

Aber das war sowieso nicht alles, was in diesem Jahr passiert ist. Zusätzlich zu den Startblöcken erweiterte Nühl das Geschäftsfeld des Labels auf „Kachelsachen“, das sind Merchandising-Artikel wie Vasen oder Aschenbecher aus Kacheln im selben Design wie die Startblöcke. Der Fischwagen wurde bei Ebay ersteigert und umgebaut zur mobilen Promo-Bühne. Und die Band dreht ein Video.

Als alles soweit war, stieg der Beckenrand-Bassist aus und zog nach Berlin, um dort als Musiklehrer zu arbeiten. „Wir haben dann nach einem neuen Bassisten gesucht, aber keinen passenden gefunden. Jetzt machen wir zu zweit weiter“, sagt Nühl. Im September hatten sie zu zweit eine Auftritt im Fernsehen, bei Hamburg 1. Sie durften einen Song spielen. „Da haben wir eine Langversion genommen“, sagt Nühl. „Für die Leute, die vielleicht noch reinschalten.“

Anfang November hat Nühl dann die Beckenrand-CD rausgebracht. Er hat einen Vertrieb gefunden, durch den die CD ganz herkömmlich im Handel zu haben ist. Dafür, dass sie auch überall nur 6,99 Euro kostet, kämpft er noch. Und auch mit dem Fischwagen sind sie losgezogen. Anfang November waren sie in Münster und Köln und wollten dort auf dem Uni-Campus spielen. Es regnete und war kalt, und niemand wollte zuhören. Nühl und Beatmaster Dude brachen die Tour ab. „Dummerweise ist jetzt nicht Sommer, das ist der Haken“, sagt Nühl. Und Kollege Till Wulf vom Kurbad-Label sagt: „Mit einer Uni-Tour nächstes Jahr sieht es gut aus. Im Sommer um 12 Uhr vor der Mensa – da erreicht man schon mal 1.000 Leute.“

Eine herkömmliche Plattenfirma würde eine PR-Tour für eine frisch erschienene CD wohl eher machen. Aber Kurbad St. Pauli ist nicht herkömmlich. Vielleicht zünden bis zum Sommer die Startblöcke oder die Kachelsachen oder die Werbung durch Beckenrand-Postkarten, die das Label im Austausch gegen unverkaufte „Nackt vom Fünfer“-CDs hat drucken lassen.

Aber selbst wenn jetzt alles klappt, wenn tausende CDs verkauft werden, in den Genuss einer Charts-Platzierung und den damit verbundenem PR-Rückenwind werden Beckenrand nicht kommen. „Der Bundesverband der phonographischen Wirtschaft hat festgelegt, dass nur die CDs in die Charts kommen können, die mindestens 8,25 Euro plus Mehrwertsteuer kosten“, sagt Nühl. Traurig wirkt er dabei nicht.

nächste Konzerte: 24. 11. Hamburg, Villa im Park, Eintritt frei; 8. 12. Kiel, Prinz Willy