Eine Gegend hübscht sich auf

SCHÖNEWEIDE Die beiden Nazi-Läden Hexogen und Zum Henker haben dichtgemacht, dafür kommen das Kiki Blofeld, Bryan Adams und junge Leute: Kann sich der Bezirk seines schlechten Images entledigen?

VON MARINA MAI

Geht es nach den Plakaten, dann wird rund um die Wilhelminenhofstraße und die Brückenstraße in Schöneweide zu den Europawahlen nur eine Partei gewählt: Die NPD hat hier die Hoheit über die Laternenmasten. Auch nach der Schließung der Nazikneipe Zum Henker und des Militarialadens Hexogen beansprucht die rechtsextreme Partei Schöneweide als ihr Wohnzimmer. „Wir haben keinen Grund, uns zurückzulehnen“, sagt deshalb auch Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen rechts. NPD-Funktionäre und ihre Anhänger wohnen zahlreich in Schöneweide. „Dennoch können wir stolz sein, dass sich die Situation durch jahrelanges Engagement der Zivilgesellschaft zu entspannen beginnt.“

Nazitreffs verhindern

Auf der Habenseite sieht die Rechtsextremismus-Expertin neben dem Ende der beiden berüchtigten Naziläden auch einen Vertrag mit zwei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Diese verpflichten nun Neumieter in Gewerbemietverträgen, keine rechtsextremen Aktivitäten in den Räumen zuzulassen. „Damit können wir verhindern, dass der nächste Nazitreff entsteht“, sagt Klose. Denn die Erfahrungen von Henker und Hexogen hätten gezeigt, „dass es schwierig und langwierig ist, sie wieder loszuwerden“.

Nach dem Verschwinden der Naziläden stellt sich für Schöneweide die Frage: Was kommt jetzt? Thomas Niemeyer ist Projektentwickler, sein Job ist es, die alten denkmalgeschützten Industriehallen am nördlichen Spreeufer zu vermarkten. Hier war Ende des 19. Jahrhunderts die Großindustrie eingezogen, in der DDR produzierten hier unter anderem ein Kabelwerk und ein Werk für Fernsehelektronik. Nach der Wende gingen die meisten Betriebe bankrott. „Noch steht weit über die Hälfte der ehemaligen Industriehallen leer“, sagt Niemeyer. In letzter Zeit mehrten sich aber die Anfragen.

Niemeyer zeigt eine alte Industriehalle, in der am 23. Mai Schöneweides erste Strandbar aufmachen soll: das legendäre Kiki Blofeld, das aus Mitte verdrängt wurde.

In der Nachbarhalle werden Fußballtribünen produziert. „Die Zukunft liegt hier bei der Kreativwirtschaft und Kunst“, meint Niemeyer. So gebe es etwa eine Bronzegießerei im ehemaligen Transformatorenwerk. „Die bringt schon lange Synergieeffekte. Deren Kunden sind ja in der Regel Künstler. Und die ziehen jetzt auch hierher.“ Prominentester Nachbar ist der kanadische Popsänger Bryan Adams, der im vergangenen September eine Halle gekauft hat. Die schläft noch ihren Dornröschenschlaf, soll aber bald saniert und als Fotostudio eröffnet werden.

Thomas Niemeyer zeigt eine weitere leere Industriehalle. Der Rost zeugt vom Zerfall, doch Niemeyer spricht von einem „wunderschönen Gebäude“ und meint damit die Zukunft. „Die Halle ist 3.000 Quadratmeter groß, und noch regnet es rein“, sagt er und stellt sich vor, was hier einmal entstehen könnte. Ein Club, der in Kreuzberg oder Mitte verdrängt wurde? Oder ein Mountainbikepark?

Supermärkte fehlen

Noch fehlt in Schöneweide vieles, um sich hier wohlfühlen zu können – darunter so simple Dinge wie wohnnahe Supermärkte, von Biomärkten oder guten Restaurants ganz zu schweigen. Wenn Niemeyer durch den Ortsteil läuft, fragt er sich auch, wie sich das ändern könnte. Er wünscht sich, dass gerade in die Räume der geschlossenen Nazikneipe Zum Henker endlich gute Gastronomie einzieht. Die Lage am Spreeufer mit Innenhof bietet sich geradezu an. Vielleicht richtet sich dort aber auch die Piratenabgeordnete Susanne Graf ihr Abgeordnetenbüro ein. Sie verhandelt darüber gerade mit dem Vermieter.

Niemeyer kann ins Schwärmen geraten, wenn er sich Schöneweide in fünf Jahren vorstellt. „Es wird einen Uferweg geben. Mit ihm steht und fällt das Flair des Ortsteils.“ Noch versperren Industriehallen diesen Weg an vielen Stellen, doch das soll sich ändern. Zwei Reedereien werden in Kürze ihren Sitz von Kreuzberg nach Schöneweide verlegen. „Und dann wird auch der Stadtplatz belebt werden.“

Was Niemeyer „Stadtplatz“ nennt, ist im Moment ein Haufen Beton unweit des Spreeufers. Immerhin sitzen zwei Rentnerinnen auf den Bänken und schauen auf die gegenüberliegende Seite. Ein paar Meter weiter gibt es, versteckt zwischen den Hallen, mit Schoeneweile das erste Szenerestaurant. Eine Tagessuppe, Hollunderschorle und Mate werden auf alten Kabelrollen serviert, die als Tisch dienen. „Das passt hierher, und das passt auch zu mir“, sagt Betreiberin Nele Jonca.

Um Studenten anzuziehen, ist das noch zu wenig. 9.000 Menschen studieren am Standort Schöneweide der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Aber kaum einer von ihnen wohnt auch hier. Die Nazinachbarn und die ungünstigen Taktzeiten der Straßenbahn sind Gründe dafür. „Schöneweide fehlt es aber auch an Attraktivität“, sagt der Ingenieurstudent Manuel G. aus Bayern. „Es gibt keinen Platz zum Verweilen. Es ist eine gesichtslose Schlafstadt ohne Flair.“

Dabei wäre studentisches Leben genau das, was den Flair ausmachen würde. Deshalb will Thomas Niemeyer 1.000 Wohnheimplätze für Studenten schaffen, das erste Studentenwohnheim wurde im Dezember eröffnet. Die rund 100 Plätze waren sofort besetzt. Henrike Krüger aus Rügen ist eine von ihnen. „Ich schätze Schöneweide als ein ruhiges Viertel, in dem ich mir die Miete leisten kann“, sagt sie. In Dahlem, nahe der Freien Universität, an der sie studiert, hätte sie deutlich mehr als die gut 300 Euro Miete hinlegen müssen, die sie hier bezahlt. Und Nazis? Die habe sie bisher nur über die Plakatierung wahrgenommen.

Ihr chinesischer Kommilitone Li Wang sieht das anders. „Am S-Bahnhof Schöneweide wurde ich schon öfter angepöbelt.“ Wenn er abends aus der Stadt nach Hause komme, nehme er da schon mal einen Umweg in Kauf. Er wohnt in Schöneweide zur Untermiete. Mit Familienanschluss, wie er hinzufügt. „Sonst hätte ich mir schon längst etwas in einer ungefährlicheren Gegend gesucht.“

Die Zeiten, in denen 25 Prozent der Wohnungen in Schöneweide leer standen, sind inzwischen vorbei. Viele Neumieter kamen jedoch nicht freiwillig an den südöstlichen Stadtrand: Sie konnten sich ihre Wohnungen in der Innenstadt nicht mehr leisten. Doch Ingo Malter von der Wohnungsgesellschaft Stadt und Land sieht viel Potenzial bei den Zugezogenen. „Das Durchschnittsalter unserer neuen Mieter liegt um die 30 Jahre“, sagt er. Im Bezirk Treptow-Köpenick, in dem zu einem großen Teil Rentner wohnen, könne sich der Schmuddelkiez damit zur neuen Kinderstube und zum Kreativstandort entwickeln.