Ein Gespür fürs Klima entwickeln

Nach dem Todesfall in der JVA Siegburg steht die Frage im Raum, wie Gefangene Mithäftlinge unentdeckt verletzen können. Auch im Norden gibt es Übergriffe auf Mitinsassen. Länder arbeiten an Gesetz zu besseren Haftbedingungen

Die Aufklärungsquote liegt bei fast null Prozent. Es ist die Ausnahme, wenn bei Misshandlungen im Gefängnis die Täter ermittelt werden können. Zwar kommt es hinter Gittern nur selten zu Folterungen wie in der Jugendvollzugsanstalt Siegburg, die mit dem Tod eines Gefangenen enden. Blutige Machtdemonstrationen aber sind im Gefängnis Alltag: 48 Ermittlungsverfahren hat die Hamburger Staatsanwaltschaft beispielsweise im Jahr 2004 wegen Misshandlungen im Gefängnis geführt, Dunkelziffer, laut Justizsprecher Carsten Grote: Unbekannt.

Vor zwei Wochen erst wurde in der JVA Billwerder in Hamburg der Ex-Polizist und Strafgefangene Thomas Wüppesahl zusammengeschlagen. Ausgesprochen brutal war ein Vorfall im Gefängnis Bremen-Oslebshausen im Februar: Dort wurden einem Insassen mehrere Zehennägel herausgerissen. Der Verletzte hatte behauptet, sich selbst so misshandelt zu haben. Das hatte der Anstaltsarzt ausgeschlossen. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen inzwischen eingestellt. Sprecher Frank Passade: „Wir konnten niemanden als Tatverdächtigen ermitteln.“ Dabei waren sogar 3.000 Euro Belohnung für Hinweise auf die Täter ausgesetzt.

Die Länder sind nicht erst seit dem Vorfall von Siegburg aufgerufen, per Gesetz die Haftbedingungen festzulegen. Für den Jugendvollzug hat das Bundesverfassungsgericht im Mai ein eigenständiges Gesetz verlangt – bislang gibt es dazu nur Verwaltungsvorschriften. Bis Ende 2007 müssen die einzelnen Länder ein Gesetz erlassen haben. Noch sind sie dabei, ihre Entwürfe zu erarbeiten. Der Befürchtung, dass die Länder nun einen Wettbewerb um den billigsten und härtesten Vollzug beginnen, versuchen Schleswig-Holstein und Bremen entgegenzutreten, die sich mit neun weiteren Ländern zusammengetan haben. Die Hamburger Justizbehörde sitzt an einem eigenen Entwurf.

Wie ein Strafvollzugsgesetz für Jugendliche aussehen könnte, hat die Hamburger GAL-Oppositionsfraktion angeregt. Ihr zentraler Punkt: Jeder Jugendliche soll einen Rechtsanspruch auf einen verbindlichen Förderplan bekommen. Außerdem sollen die Jugendlichen nach den Vorstellungen der GAL tagsüber in Wohngruppen von maximal acht Gefangenen und nachts in Einzelzellen untergebracht sein.

Doch selbst die Einzelunterbringung kann Übergriffe nicht verhindern. Nur wenn dem Gefängnispersonal Zeit für Gespräche mit den Gefangenen bleibt, können die Beamten ein Gespür für das Klima auf den Stationen entwickeln. Deshalb fordert GAL-Rechtsexperte Till Steffen, im Jugendvollzug mehr Vollzugsbeamte einzusetzen.

Viele Gefangene fürchten, noch schwere Qualen erleiden zu müssen, wenn sie ihre Peiniger verraten. Spezielle Stationen für gefährdete Insassen gibt es nicht. „Wir wollen nicht die Gefährdeten isolieren, sondern die Täter arrestieren“, erklärt Hamburgs Behördensprecher Grote. So sind die Insassen, die in der Machthierarchie ganz unten stehen, zumindest tagsüber dem Kontakt mit ihren Peinigern ausgesetzt. In der Bremer JVA etwa soll es im März 2004 in der Dusche zu einer schweren Vergewaltigung gekommen sein. Die Täter? Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. ELKE SPANNER