der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR
:

… wurde weggehüstelt und versteckt in früherer Zeit, an die sich heute niemand mehr erinnern möchte. Da war er kein gern gesehener Gast im Freundes- oder Familienkreis, und fiel doch einmal sein Name, dann hüstelte immer irgendeiner als Signal dafür, an der Stelle den Mund zu halten. Wie hätte man denn der Festgesellschaft die Anwesenheit des einzelnen Herrn erklären sollen, ohne Tischdame? Witwer? Ewiger Junggeselle? Da lud man ihn doch lieber erst gar nicht ein.

Das ist anders heute. Das Verstoßen eines schwulen Außenseiters aus der Familie ist deutlich weniger geworden, und wenn er auch noch einen Freund hat, lassen sich beide reibungslos integrieren als Sohn und Schwiegersohn. Und in den heterosexuellen Großstadtmilieus? Da ist es stylish und chic, mindestens ein schwules Pärchen im Bekanntenkreis zu haben. Damit demonstriert man gern, wie unvoreingenommen man ist. Der vorläufige Höhepunkt dieses Annäherungsprozesses ist der schwule Patenonkel. Massenhaft werden derzeit schwulen Männern Patenschaften angetragen, so als sei die Angst obsolet, den eigenen Nachwuchs in der Kindheit oder in der Pubertät einem Homosexuellen auszusetzen.

Mein Freund Conrad (das plumpe K im Vornamen ersetzte er durch ein chices C, lange bevor er sich seiner Homosexualität gewiss wurde) ist der Prototyp dieses neuen, gesellschaftlich kompatiblen Homosexuellen: gepflegt, repräsentabel, modisch ohne Verrücktheiten, nicht unvermögend und ein Meister im Partytalk. Und dass er schwul ist, kann man sehen, wenn man einen Blick hat dafür, man kann es aber auch galant ignorieren.

Conrad könnte, wenn er wollte, seine gesamte Freizeit auf Partys, Geburtstagsfesten und Hochzeitsfeiern verbringen, Familie und Freunde, Kollegen und Bekannte reißen sich um ihn. Und Conrad ist Profi genug, dass er genau weiß, wo und wann er den smarten Metropolenhomo geben muss oder auch schon mal die amüsante Tunte zur Geltung bringen kann.

Unlängst war er wieder mal zu einer Hochzeit geladen, in einem Schlösschen an einem brandenburgischen See, genauso wie es heutzutage Stil und Pflicht ist für die heterosexuelle Mittelschicht der Hauptstadt. Ihm an die Seite gegeben war eine Tischdame, ebenso gekonnt parlierend und hübsch anzuschauen wie er. Die Sache hatte nur einen Haken: Niemand hatte sie über die wahre Natur ihres Stuhlnachbarn aufgeklärt. Und sie wollte es auch nicht sehen, schließlich war eine Hochzeitsgesellschaft, das wusste sie, ein exzellentes Jagdrevier für jede Alleinstehende ab 35.

So beplauderte sie Conrad in einem fort, mit ganzer körperlicher und geistiger Aufmerksamkeit. „Sie warf den Ofen an, dass es nur so qualmte“, schilderte Conrad später die Avancen wenig charmant. Bis ein anderer Gast dazu kam und das Zauberwort fiel: „Na, Conrad, wo hast du deinen Freund gelassen?“ Das Feuer erlosch in der Sekunde, der Redefluss stoppte im Satz, die Betrogene stand auf und verließ den Saal noch vor dem Dessert. Homosexuelle sind gern gesehene Gäste in dieser Zeit, und stehen doch als billige Trickbetrüger da, wenn die Zeichen nicht richtig verstanden werden. Männer wie Conrad, das sollte eine Frau aus der Großstadt wissen, sind entweder vergeben oder schwul.