WEIL MAN IN EUROPA ANGST HAT UM DAS WOHLBEFINDEN VON TOMATEN UND GURKEN, HAT SICH IN INDIEN DER PREIS FÜR DIE MANGO HALBIERT
: Erbitterter Kampf um die Königin der Früchte

VON LALON SANDER

Die Europäer sind schon ein seltsames Völkchen. „Stellt euch vor, sie opfern die Königin der Früchte für Salat“, schrieb die größte indische Zeitung Times of India Anfang des Monats. Zum Beginn der Mangosaison in Indien hatte die EU ein Einfuhrverbot für die Frucht und vier andere Gemüsesorten verhängt, aus Angst vor Fruchtfliegen, die Ernten in Europa gefährden könnten. „Sie haben Angst um ihre Tomaten und Gurken“, spottete die Times of India. In Indien halbierte sich der Mangopreis.

„Billige Mangos, umso besser für uns“, sagt eine junge Unternehmensanwältin. Ansonsten sind die EU und die Beziehungen nach Europa weit entfernt. Die EU-Wahl sowieso. „Oh, nee, kein Kommentar“, lacht die Frau. Denn kurz vor der Abstimmung in Europa endet hier eine Wahl, deren Dimensionen um einiges beeindruckender sind: fünf Wochen Abstimmung, 800 Millionen Wahlberechtigte, mehr als 100 Millionen Erstwähler. Die Frage nach einem Rechtsruck in Europa sticht die Frage nach dem sich andeutenden Rechtsruck hier. Werden Großkonzerne ihre Macht über den Staat ausbauen? Die Frage ist in Indien vermutlich brisanter als in der EU.

Doch die Unterhändler der EU und Indiens werden beide Wahlen sehr genau im Blick behalten. Denn die Angst der EU vor indischen Fruchtfliegen ist die jüngste Gefahr für ein Freihandelsabkommen, das seit 2007 verhandelt wird. Die EU will zu günstigeren Konditionen als bisher Autos, Versicherungen, Alkohol und Milchprodukte nach Indien verkaufen. Die Inder wollen einfachere Regeln für Arbeitsvisa und als sicheres Land für Datenverarbeitung eingestuft werden, um einfacher Softwaredienste in die EU verkaufen zu können.

Schon seit Beginn der Verhandlungen gibt es viel Kritik aus Indien. Bauern befürchten, dass die EU den Markt mit subventionierten Milchprodukten überschwemmt und so die hiesigen Milchgenossenschaften zerstört, die indischen Autobauern fordern, die Autoindustrie ganz aus dem Abkommen rauszuhalten, und Anti-HIV-Aktivisten protestieren gegen eine EU-Forderung, die Regelungen zum ‚Schutz geistigen Eigentums‘ zu verändern: Sie befürchten, dass die indische Generika-Industrie leiden könnte und so der Zugang zu Medikamenten für arme Patienten erschwert werden könnte.

Für das Abkommen spielte die indische Wahl naturgemäß eine größere Rolle als die EU-Wahl. Bisher verhandelte die Kongresspartei um das Abkommen. Sie hat bei der Wahl eine deutliche Niederlage eingefahren. Die rechtskonservative Hindu-Partei BJP, die die neue Regierung stellen wird, hat die Verhandlungen regelmäßig kritisiert. Die „weiße Revolution“ – wie die erfolgreiche Ausweitung der Milchproduktion in Indien oft genannt wird – sei in Gefahr, wetterte BJP-Chef Narendra Modi schon im Sommer 2013.

Die EU hofft dennoch, auch mit der neuen Regierung das Abkommen schließen zu können – auch wenn viele Experten glauben, dass es noch Jahre dauern könnte. Vorerst gibt es noch einige Wochen billige Mangos. Die, die Europa nicht wollte.