Verhandler werden bescheiden

TTIP Das umstrittene Handelsabkommen zwischen der EU und den USA klammert immer mehr Themen aus. Ob Außenspiegel von Autos einklappbar sein müssen oder nicht, wird indessen konstruktiv weiterdiskutiert

VON ULRIKE HERRMANN

BERLIN taz/rtr | Kanzlerin Merkel hat sich erneut eindeutig zu dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA bekannt. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Hamburg sagte sie: Freihandelsabkommen seien „gut für uns“. Die EU habe „jedes Mal ein Mehr an Umweltschutz, ein Mehr an Verbraucherschutz herausgehandelt“. Sie verteidigte auch, dass die Gespräche geheim sind und der Vertragstext erst veröffentlicht wird, wenn die Ratifizierung ansteht. „Wenn ich alles sofort auf den Tisch lege, dann kriegt man meistens nicht das beste Verhandlungsergebnis.“

Die TTIP-Verhandlungen gehen am heutigen Montag in die fünfte Runde. Die Delegationen der EU und der USA treffen sich diesmal in Arlington in der Nähe von Washington und werden bis zum 23. Mai tagen. Auf der Tagesordnung stehen fünf verschiedene Branchen: Chemikalien, Kosmetika, Autos, Medikamente und Textilien.

Bei den Chemikalien haben die Verhandler die Hoffnung allerdings schon aufgegeben, dass sie zu nennenswerten Fortschritten gelangen könnten. Auf der Homepage der EU-Kommission heißt es resigniert: „Die gegenwärtigen EU- und US-Vorschriften unterscheiden sich bei den Chemikalien erheblich. Weder eine Harmonisierung noch eine gegenseitige Anerkennung erscheinen realisierbar.“ Hinter diesen knappen Worten verbirgt sich das Problem, dass die EU-Chemikalienrichtlinie Reach das Vorsorgeprinzip verankert hat: Substanzen gelten so lange als gefährlich, wie ihre Sicherheit nicht bewiesen ist. Die US-Chemikalienrichtlinie TSCA hingegen geht genau andersherum vor und hält Substanzen so lange für unbedenklich, wie ihre Gefährlichkeit nicht erwiesen ist. Die Verhandler haben ihren Ehrgeiz daher heruntergeschraubt: Bei den Chemikalien soll es nur noch um Themen wie etwa Klassifizierungen gehen.

Einfacher ist es bei der Automobilindustrie. Hier sind die Verhandler optimistisch, dass sich die Standards vereinheitlichen lassen. Gern wird das Beispiel zitiert, dass die Seitenspiegel in Deutschland einklappbar sein müssen – in den USA hingegen nicht.

Die Verhandlungen sind zwar geheim, dennoch soll es eine fast ganztägige Veranstaltung mit den Repräsentanten der Zivilgesellschaft geben. Diese Begegnung zwischen Aktivisten und Verhandlern findet am Mittwoch statt und ist minutiös geplant: Erst dürfen Kritiker und Industrievertreter dreieinhalb Stunden lang Stellungnahmen präsentieren; dann stehen der europäische und US-amerikanische Chefunterhändler 75 Minuten lang Rede und Antwort.

Dieses Format gab es bei allen Verhandlungsrunden. USA und EU wollen damit den Verdacht ausräumen, dass sie in ihren Geheimgesprächen nur die Interessen der Industrie bedienen. Die Anti-TTIP-Aktivisten waren allerdings jedes Mal enttäuscht von ihren Begegnungen mit den Chefunterhändlern und sprachen von „Scheindiskussionen“.

Die TTIP-Verhandlungen sollen Ende 2015 abgeschlossen sein. Noch ist unklar, wer den Vertrag ratifiziert. Die EU-Kommission war bisher der Ansicht, dass nur das EU-Parlament gefragt werden muss – nicht aber die Parlamente der 28 EU-Staaten. Diese Rechtsauffassung scheint sich zu ändern. Handelskommissar De Gucht sagte jetzt in einem Welt-Interview, dass er mit einem „gemischten“ Abkommen rechnet, bei dem alle nationalen Parlamente beteiligt werden müssen. „Wem das Verhandlungsergebnis nicht passt, der kann es immer noch ablehnen.“