ERICH RATHFELDER ÜBER DIE JAHRHUNDERTFLUT AUF DEM BALKAN
: Katastrophales Kompetenzwirrwarr

Eigentlich war man in Bosnien dieses Jahr wegen des Tourismus sehr optimistisch gestimmt. Bis zu 30 Prozent mehr Besucher wurden erwartet. Bosnien wird mehr und mehr als Reiseland entdeckt. Endlich sollte mit dem Tourismus auch die kränkelnde Wirtschaft dieses seit dem Kriege armen Landes an Kraft gewinnen.

Und jetzt so etwas. Die größte Flut seit den Aufzeichnungen der Wetterdaten vor 120 Jahren hat das leidgeplagte Land erschüttert. Mehr als eine Million Menschen sind von der Flut betroffen. Und der Staat ist weggetaucht. Er existiert eigentlich nicht. Das Kompetenzwirrwarr, das aus der Verfassung von Dayton herrührt, die Teilung des Landes auf ethnischer Grundlage, die unklaren Kompetenzen von Gemeinden, Kantonen, Entitäten und Gesamtstaat, ist an vielem schuld: jetzt vor allem aber am mangelnden Katastrophenschutz.

Niemand fühlte sich in diesem Land zuständig, die Menschen vor der Flut zu warnen. Keine Sirene heulte. Die Katastrophe brach einfach über die Menschen herein.

Der Zynismus der herrschenden Politiker in Sarajevo und anderswo ist kaum zu toppen. Milorad Dodik, Ministerpräsident der serbischen Teilrepublik, griff eine Journalistin an, die kritische Fragen über den Katastrophenschutz stellte. Auch die internationalen Eufortruppen verweigerten Hilfe, das läge nicht in ihrem Mandat.

Immerhin solidarisiert sich die Gesellschaft. Tausende Freiwillige sind schon in den betroffenen Gebieten, Kleiderspenden und Lebensmittel werden gesammelt. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, so zeigt der Vorgang, dass dieser Staat in dieser Konstruktion am Ende ist.

Europa-taz SEITE 13