Auf Räumung eingestellt

Im Nötigungs-Prozess um die Bauwagendemo „Einmal im Leben pünktlich sein …“ deutet sich eine Wende an. Das Landgericht meint, Verkehrsbehinderungen seien als „Lappalie“ in Kauf zu nehmen

von KAI VON APPEN

Beobachtern ist Landrichter Rolf Helbert für seine lockere Verhandlungsführung bekannt. Auch im Prozess um die Bauwagendemo „Einmal im Leben pünktlich sein …“ präsentiert er sich so. Doch gestern platzte Helbert der Kragen. Immer wieder hatte sich die Verteidigung auf Details versteift, und der damalige Polizei-Einsatzleiter Kuno Lehmann war über Stunden der Beantwortung der Fragen ausgewichen. „32 Jahre bin ich Richter und habe meine Sache toll gemacht – und jetzt sowas“, schäumte Helbert. „Ich bin so weit, das Handtuch zu werfen.“

Den drei Anwälten Carsten Gericke, Marc Meyer und Andreas Beuth geht es um die konkreten Abläufe der Demo vom 24. April 2002 auf der Hafenstraße, wegen der sich ihre Mandaten in dem derzeitigen Pilotverfahren wegen „Nötigung von Autofahrern“ verantworten müssen. „Straßenblockade“ nennt das die Anklage, insgesamt sind 40 Strafbefehle anhängig.

Die Anwälte wollen belegen, dass die gewaltsame Auflösung der Demo von 99 Bauwagen rechtswidrig war. Tatsächlich räumte Ex-Einsatzleiter Lehmann ein, dass die Polizei schon tags zuvor vor der Aktion Kenntnis hatte. „Wir haben nur nicht mit der Art und mit dieser Dimension gerechnet.“ Vielmehr war von einer Platzbesetzung mit 20 Wohnwagen ausgegangen worden. Lehmann erklärte zudem, dass die Versammlung am frühen Morgen – auch wenn sie nicht angemeldet worden war – seiner Auffassung nach vom Versammlungsrecht gedeckt war. „Es handelte sich um eine Versammlung“, so Lehmann. Deshalb habe er als Einsatzleiter in Absprache mit seinem Einsatzleiter vor Ort, Thomas Mülder, die Demo zunächst bis neun Uhr morgens geduldet.

Für eine mögliche Fortführung habe er jedoch verlangt, dass ein Versammlungsleiter benannt werde. Und genau da setzt die Detailsuche an, die womöglich die Rechtswidrigkeit polizeilichen Handelns belegt. Denn obwohl die Demo bis gegen neun Uhr geduldet worden war und sich der Ex-Regenbogen-Bürgerschaftsangeordnete Norbert Hackbusch 15 Minuten zuvor als Versammlungsleiter zur Verfügung gestellt hatte, war noch vor Ablauf der Frist von Mülder mit der Auflösung der Demo begonnen worden.

„Herr Hackbusch wollte eine Versammlung bis Sonntagabend null Uhr durchführen“, gibt Lehmann als Grund an. „Das haben wir abgelehnt.“ Den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nach „versammlungsrechtlichen Kooperationsgesprächen“ sei er nicht nachgekommen, weil er, Lehmann, davon ausgegangen sei, dass Hackbusch nach der Absage die Demo-Leitung sofort wieder niedergelegt habe. „Wenn es keinen Leiter gibt, kann ich nicht kooperieren.“

Tatsächlich hatte Hackbusch aber, nachdem er angeblich die Demoleitung niedergelegt hatte, Mülder noch den Vorschlag unterbreitet, die Demo andernorts fortzusetzen. Lehmann will davon aber nichts gewusst haben: „Das hätte zu einer neuen Bewertung der Lage führen müssen.“ Offensichtlich war da alles schon auf Räumung eingestellt.

Für Richter Helbert sind diese Details offenkundig ohne Bedeutung für die Frage, ob es durch die Aktion und die geringfügige Verkehrsbehinderungen eine Nötigung gegeben hat. „Jeder Hamburger Autofahrer muss so etwas in Kauf nehmen“, referierte er die Meinung seiner Kammer: „Wir neigen dazu, dass das alles eine Lappalie ist.“