„Junge Leute sind so enttäuscht“

DEMOKRATIE Der griechische Krimiautor Petros Markaris über die Krise der Politik seines Landes, das Trauma des Bürgerkriegs und kreative Ansätze, mit Knappheit umzugehen

■ Geboren 1937 in Istanbul, studierte in Wien Volkswirtschaft. Spricht und schreibt auf Türkisch, Deutsch und Griechisch. Übersetzer von unter anderem Goethes „Faust“ und Brechts „Mutter Courage“, Autor von Theaterstücken und Drehbüchern, vor allem für Theodoros Angelopoulos. Mit dem Schreiben von Krimis begann er Mitte der 90er.

■ „Abrechnung“ (2013) ist der achte Fall seines Athener Kommissars Kostas Charitos, erschienen im Diogenes Verlag, Zürich. 2013 wurde Markaris, der seit 50 Jahren in Athen lebt, mit der Goethe-Medaille in Weimar ausgezeichnet.

INTERVIEW CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

taz: Herr Markaris, die Springer-Presse spricht von einem „sensationellen Comeback der Krisen-Griechen“. Sie haben Volkswirtschaft studiert. Würden Sie empfehlen, dieser Tage griechische Staatsanleihen zu kaufen?

Petros Markaris: Ja, würde ich. Das Risiko ist geringer geworden. Einerseits. Andererseits finde ich den Optimismus übertrieben. Kann sein, dass sich das Land auf dem Weg zur Stabilisierung befindet. Aber bis die Bürger merken, dass es ihnen besser geht, kann es noch lange dauern. Das verschweigt man in Griechenland, Spanien und Portugal.

In Ihrem jüngsten Krimi ,„Abrechnung“ hatten Sie ein leicht absurdes Szenario entworfen: Nach den Wahlen verteilt eine neue Regierung die Posten unter den eigenen Leuten, der Hass auf die Deutschen schwillt weiter an und die Drachme wird wieder eingeführt. Dachten Sie dabei an eine bestimmte Partei?

Ich weiß nicht, welche Partei in Griechenland aus den nächsten Wahlen siegreich hervorgehen wird. Die Umfragen sind sehr unzuverlässig. 40 Prozent des Wahlvolks weiß heute nicht, wen es künftig wählen wird. Die Europawahlen sind von daher ein wichtiger Stimmungstest für die Regierung Antonis Samaras. Ich habe aber die Schönfärberei auf beiden Seiten satt. Die einen sagen, es gehe uns besser, das Land sei aus der Krise raus. Die anderen versprechen sich eine Besserung davon, dass wir zur Drachme zurückkehren. Das ist mir zu einfach, es löst die Probleme der Leute nicht.

Der Mörder in Ihrem Roman hat es auf Angehörige der „Generation Polytechnikum“ abgesehen. Wer ist damit gemeint?

Als Generation Polytechnikum bezeichnet man die Studenten, die während der Militärdiktatur in Griechenland (1967 bis 1974; Anm. d. Red.) Widerstand geleistet haben. Wir haben diese jungen Leute sehr bewundert für ihren Mut und für das, was sie durchgemacht haben. Viele sind gefoltert worden. Aber jener Teil dieser Generation, der danach den öffentlichen Raum besetzt hat, in die Politik ging, Gewerkschafter wurde oder Professor, ist mitverantwortlich für die Misere von heute. Viele von ihnen sind in der sozialdemokratischen Pasok gelandet.

Die Partei ist in den Umfragen mit drei bis vier Prozent weit abgeschlagen.

Pasok ist am Ende.

Weil Pasok für die Krise verantwortlich sein soll?

Ja. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen 2010 in der Regierung, sind mit 43 Prozent gewählt worden, und auf einmal ist das Land abhängig vom IWF, von Memoranden, von der Troika. Die Pasok hat 30 Jahre lang die enormen Geldmengen, die ins Land geflossen sind, schlecht verwaltet. Für mich wiegt das viel schwerer als die Finanzkrise. Die jungen Leute sind so enttäuscht, wir haben ja 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Immerhin hat sich heute ein Teil dieser Jugend entschieden, zu bleiben, anstatt das Land zu verlassen. Das ist ein enormer Schritt nach vorn.

Wieso?

Der Bürgerkrieg (1946 bis 1949; Anm. d. Red.) ist immer noch ein sehr großes Trauma. Vieles in Griechenland rührt von dieser Vergangenheit her. Zum Beispiel, dass die Griechen sich so leicht als Opfer fühlen. Wir haben eine Aufarbeitung des Bürgerkriegs versäumt, wie die Spanier auch. Meine Hoffnung ist, dass eine neue Generation das anders sieht. Dass sie sagt: Ihr habt die Fehler gemacht, wir müssen dafür bezahlen, aber irgendwann müssen wir doch darüber reden. Wie eine verspätete 68er-Reaktion.

Sie gaben mal zu Protokoll, die „empörten Bürger“, wie sich die Demonstranten auf dem Syntagmaplatz nannten, litten allesamt unter Realitätsverweigerung?

Das war 2012, als Athen brannte. Sie können doch nicht mit 300 Leuten die Stadt in Brand setzen und sagen, wir haben jetzt eine Revolution. Andererseits kenne ich Leute, die ganz bewusst und zielgerichtet demonstrieren. Gründe zu demonstrieren gibt es genug. Leider funktioniert die Mobilisierung nicht. Nicht mal das Linksbündnis Syriza schafft es zu mobilisieren.

Einmal rückt Ihr Kommissar, Kostas Charitos, mit Kollegen zu einer Demo aus. Einer von ihnen nennt den Einsatz „Generalprobe für den Krieg zwischen den Nord- und den Südstaaten“. Halten Sie das Projekt Europa für gescheitert?

Nein, überhaupt nicht. Aber dass Europa nur noch einen finanziellen und wirtschaftlichen Diskurs führt, finde ich sehr gefährlich. Den politischen Diskurs führen zurzeit hauptsächlich die Extremen. Man kann den politischen nicht durch einen finanziellen Diskurs bekämpfen. Das ist Unsinn.

Die Linkspartei Syriza liegt den Europawahlen-Umfragen zufolge fast gleichauf mit der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia, bei um die 20 Prozent. Mit der Europawahl finden in Griechenland auch Kommunalwahlen statt. Syriza hofft auf Neuwahlen im Anschluss.

Es geht nicht nur darum, ob Syriza als stärkste Partei abschneidet, was möglich ist. Es geht darum, wie tief Pasok fallen wird und ob die Regierungskoalition dies dann verkraften kann.

Der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras, Spitzenkandidat der Europäischen Linken, spricht zwei Sprachen: eine ziemlich laut tönende, europaskeptische für die Griechen, eine moderatere für die Europäer. Kann das gut gehen?

Das liegt an einem innerparteilichen Problem. In dem Bündnis gibt es eine Minderheit, eine starke allerdings, deren Politik mit der der Kommunistischen Partei identisch ist. Sie will zurück zur Drachme und die Schulden einfach abschreiben. Tsipras muss da die Balance halten. Deshalb redet er mal so und mal so. Das ist schlecht, auch für die Partei. Sieht man sich die Politik der Regierung an, müsste Syriza doch eigentlich in den Umfragen locker 40 Prozent der Stimmen erreichen. Es sind aber nur 20.

Es reicht nicht, gegen die Regierungspolitik zu sein?

Nein, auch die Griechen sind zurückhaltender geworden. Das Gegenteil stimmt aber auch: Es gibt eine neue Partei, sie nennt sich To Potami, der Fluss. Gegründet hat sie der Fernsehjournalist Stavros Theodorakis, der eine Zeit lang eine politische Sendung gemacht hat. Ein sehr kluger Mann, aber das macht ihn noch nicht zu einem Politiker. Theodorakis kommt aus dem Stand auf 10 Prozent. Warum? Weil die Leute nach etwas Neuem suchen. Ein Programm hat er nicht. Er sagt nur, ich bin gegen das alte Parteiensystem.

Aber in irgendeine politische Richtung muss es doch gehen?

Es sind Liberale. Interessant ist, dass bei den Voraussagen zu den Kommunalwahlen parteilose Kandidaten sehr gut abschneiden. Aber das ist gefährlich. Wenn das Parteiensystem beim Volk Vertrauen eingebüßt hat, schadet das der Demokratie.

Wie kann man sich eigentlich in Griechenland einigermaßen unabhängig informieren?

Schwierig. Seit dem 6. Mai gibt es aber immerhin wieder das öffentliche Fernsehen.

Die Sender waren geschlossen, um öffentliche Gelder einzusparen?

Ja, und offiziell sind sie unabhängig. Aber ich will erst mal sehen, wie selbstverwaltet die sind.

Sie haben wiederholt gefordert, die Griechen müssten zu der „Kultur der Armut“ zurückkehren, die sie verlernt hätten. Gibt es denn jetzt Initiativen, die kreativ mit der Knappheit umgehen?

Gibt es. Und ich sehe auch in der Kulturszene junge Leute, die anders reagieren. Vor allem im Theater. Da sind viele aktiv und setzen sich produktiv mit der Krise auseinander. Auch im Film.

Und das ehrenamtlich geleitete Obdachlosenasyl, das Sie in Ihrem Roman „Abrechnung“ beschreiben?

Das gibt es auch. Auch Ärzte ohne Grenzen bieten gratis Sprechstunden an. In öffentlichen Krankenhäusern behandeln einige Ärzte jetzt einmal die Woche kostenlos Leute.

Ist es nicht zu defensiv, in so einer Situation Mäßigung zu empfehlen?

Es ist doch klar, dass diese Initiativen keine Lösung sind für die Probleme des Systems. Trotzdem macht es Hoffnung zu sehen, dass Leute etwas unternehmen.