„Prüfen Sie Schule an diesen Maßstäben“

Dokumentation: 54 Reformschulen nehmen die Bildungsdebatte in die Hand: „Um die bessere Schule streiten“

Wir appellieren an die Öffentlichkeit, die bessere Schule mit uns zu erstreiten: gegen die zunehmende Entsolidarisierung unserer Gesellschaft und bildungspolitische Fehlentwicklungen. Wir skizzieren hier eine Vision. Sie soll kein „Serienmodell“ abbilden, sondern das Grundmuster einer guten Schule.

1. Wir wollen eine Schule, in der junge Menschen zu lebenszuversichtlichen, verantwortlichen, politikfähigen Bürgerinnen und Bürgern unseres demokratischen Gemeinwesens heranwachsen. Auch die beste Schule kann das nur leisten, wenn alle Jugendlichen in unserer Gesellschaft eine Chance auf Arbeit und Anerkennung haben.

– Alle Jugendlichen brauchen einen Ausbildungsplatz mit der Aussicht, später eine sinnvolle, gesellschaftlich anerkannte Tätigkeit auszuüben.

2. Wir wollen eine Schule, in der die – nach wie vor riesige – Ungleichheit der Bildungschancen abgebaut wird. Auch die beste Schule kann das nur leisten, wenn ihr Umfeld nicht zu stark belastet ist.

– Stadtentwicklung muss soziale Brennpunkte aufbrechen und die „Gettoisierung“ sozial schwacher Familien verhindern.

– Alle schulorganisatorischen Maßnahmen müssen dem Ziel einer angemessenen Mischung der Schüler verpflichtet sein. Sie muss der Einwohnerstruktur der Kommune entsprechen.

Mit Unterschieden leben

3. Wir wollen eine Schule, in der Kinder lernen, mit Unterschieden zu leben, und in der sie so angenommen werden, wie sie sind, ohne beschämt oder für ihr Anderssein „bestraft“ zu werden. Auch die beste Schule kann das nur leisten, wenn sie verpflichtet ist, mit sehr unterschiedlich zusammengesetzten Klassen produktiv umzugehen.

– Die Frage nach der Struktur unseres gegliederten Schulwesens darf nicht länger tabu bleiben. Jede Schule hat die Verantwortung für die Kinder, die sie aufnimmt, ohne mit Selektionsmaßnahmen auf ihre Unterschiedlichkeit zu reagieren.

– Die Maßnahmen des „Sitzenbleibens“ und der „Abstufung“ in eine andere Schulform oder der „Abschulung“ müssen verschwinden.

– Für produktive Formen im Umgang mit Heterogenität müssen Anreize geschaffen werden (pädagogische Unterstützung, Ressourcen).

4. Wir wollen eine Schule, in der Kinder und Jugendliche alle wichtigen Bildungserfahrungen machen, alle ihre Fähigkeiten und Begabungen entwickeln können. Auch die beste Schule kann das nur leisten, wenn Bildung nicht allein auf kognitive Erträge reduziert wird.

– Die Ungleichwertigkeit der Fächer (das Gefälle zwischen Haupt- und Nebenfächern) und die starren Fächergrenzen müssen überwunden werden. Gleichzeitig steht die Schule dafür gerade, dass am Ende der Schulzeit jeder – wirklicher jeder – Schüler seinen Fähigkeiten entsprechend ausreichend lesen, schreiben und rechnen kann.

5. Wir wollen eine Schule, in der Kinder und Jugendliche erfahren, dass ihr Lernen hilfreich begleitet, ihre Arbeit wertgeschätzt, ihre Leistung gesehen und gewürdigt wird.

– Die starre Jahrgangsklasse darf nicht einzige und nicht vorherrschende Formation sein.

– Durch flexible Unterstützungssysteme (Team-Teaching, Einsatz von sozialpädagogischen Fachkräften und Ehrenamtlichen u. ä.) muss die Unterrichtssituation entzerrt werden.

– Individualisierende Formen der Leistungsbegleitung und -bewertung müssen normierende Zensuren langfristig ersetzen.

Hohe Anforderungen

6. Wir wollen eine Schule, die an sich hohe Anforderungen stellt, sich an den eigenen Maßstäben orientiert und an ihnen ihre Arbeit selbstkritisch prüft.

– Evaluationen müssen auf das Verstehen von Prozessen des Lernens gerichtet sein und von den Schulen in Zusammenarbeit mit Partnerinstituten gemeinsam verantwortet werden: Peer-Review-Verfahren, qualitative Studien, Beratung, diagnostische Tests etc.

– Schulen können sich und ihre Leistungen selbstbewusst präsentieren. Ein öffentliches „Ranking“ zwischen Schulen darf es jedoch nicht geben.

7. Wir wollen eine Schule, in der die Möglichkeiten eines guten Zusammenlebens von Erwachsenen und Heranwachsenden institutionell gesichert sind. Auch die beste Schule kann dies nur leisten, wenn sie entsprechende Ressourcen hat.

– Schule muss für die Heranwachsenden und die Erwachsenen ein Ort sein, an dem alle gut leben und arbeiten können.

– Die Erwachsenen brauchen genügend Zeit für die notwendige Zusammenarbeit untereinander und die Zuwendung zu den Kindern und Jugendlichen.

Wir appellieren an alle Eltern, LehrerInnen und (…) BürgerInnen und Bürger:

Prüfen Sie unsere Maßstäbe für eine gute Schule. Wenn Sie mit ihnen übereinstimmen, fordern Sie sie ein. Helfen Sie mit, für die Ihnen und uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen eine Schule zu ermöglichen und zu gestalten, die diesen Maßstäben entspricht.

Aus eigener Kraft können Schulen diese Ziele nicht verwirklichen. Sie brauchen die Unterstützung der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Administration, der Medien, der gesamten Öffentlichkeit. Im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen müssen wir zu einem tragfähigen Konsens kommen, der der Entwicklung unserer Schulen die Richtung weist und der von dem Bewusstsein getragen ist: Schule ist unsere Sache.

Im Netzwerk „Blick über den Zaun“ sind 54 Schulen aller Schularten in staatlicher wie in freier Trägerschaft vereint. blickueberdenzaun.de